Mittwoch, 29. Januar 2014

Ich denke, also bin ich Teil 4 – Friedrich Nietzsche



Nietzsche war kein akademischer Philosoph. Vor allem Nietzsches spätere Werke sind nicht eindeutig im Bereich der Philosophie zu lokalisieren, sondern in einem Graubereich zwischen Philosophie und Literatur (also Kunst). Es bleibt bei oft oberflächlichen Andeutungen, die nicht ausformuliert werden, denen dafür mit einer umso gigantischeren Sprache Eindruck verliehen wird. Nietzsche ist meines Erachtens nach neben Goethe  der größte Sprachkünstler des Deutschen. Das Wirken aus einem Graubereich heraus ist von Nietzsche zum Teil gewollt, wie sich etwa in „Jenseits von Gut und Böse“ zeigt, wo er versucht auf knapp 25 Seiten die gesamte bisherige europäische Philosophie zu verwerfen:

Allmählich hat sich mir herausgestellt, was jede grosse Philosophie bisher war: nämlich das Selbsterkenntnis ihres Urhebers und eine Art ungewollter und unvermerkter mémoires“

Jede bisherige Philosophie sei ein Zurechtbiegen der Natur gewesen. Über die Stoa meint Nietzsche etwa:

„[…]ihr verlangt, dass sie [die Natur] „der Stoa gemäß“ Natur sei“

Der Mangel der Philosophie sei ihre Glaube an eine „Wahrheit an sich“:

„[…] die Kantische Frage „wie sind synthetische Urtheile a priori möglich?“ durch eine andere Frage zu ersetzen „warum ist der Glaube an solche Urtheile nöthig?““

Doch auch die Naturwissenschaften kommen nicht ungeschoren davon:

Es dämmert jetzt vielleicht in fünf, sechs Köpfen, dass Physik auch nur eine Weltauslegung und 
–Zurechtlegung und nicht eine Welt-Erklärung ist“

Erklärt sich die Leitstellung der Naturwissenschaften (heute noch) also aus dem „ewig volkstümlichen Sensualismus“?

Ausnahmsweise findet Nietzsche auch für Platon löbliche Worte. Seine Ideenlehre sei „vornehm“, da sie dem „plebejischen Grundgeschmack“ -dem Empirismus- widerstehe.) Aber ist Nietzsche hier nicht auch ein Vordenker des Konstruktivismus (konsequenter gar als Vico, Berkeley, Locke oder Kant?), wenn er sagt, Naturgesetze werden in die Welt nur hineininterpretiert, seien aber keine Gesetze der Welt an sich? Doch, und hier wird Nietzsche zum Literaten, anstatt diesen Gedanken konsequent zu Ende zu denken, denkt er ihn in andere, poetischere Richtungen.

Nietzsche als Vordenker des Konstruktivismus zu sehen, wäre zu viel der Ehre. Die bloße Behauptung, dass Naturgesetze in die Welt hineininterpretiert werden, ist noch kein Gegenentwurf oder gar eine fundierte theoretische Einsicht.  

Blendet man Nietzsches Sprachgewalt aus, bleibt eine Einsicht übrig, die sich auch auf Grundlage des volkstümlichen Skeptizismus treffen ließe.
Was trägt Nietzsche nun zur Diskussion um das descartsche Gedankenexperiment bei? Eine fundamentale Kritik:

Was den Aberglauben der Logiker betrifft: so will ich nicht müde werden, eine kleine kurze Tatsache immer wieder zu unterstreichen, welche von diesen Abergläubischen ungern zugestanden wird – nämlich, daß ein Gedanke kommt, wenn »er« will, und nicht wenn »ich« will; so daß es eine Fälschung des Tatbestandes ist zu sagen: das Subjekt »ich« ist die Bedingung des Prädikats »denke«. Es denkt: aber daß dies »es« gerade jenes alte berühmte »Ich« sei, ist, milde geredet, nur eine Annahme, eine Behauptung, vor allem keine »unmittelbare Gewißheit«. Zuletzt ist schon mit diesem »es denkt« zuviel getan: schon dies »es« enthält eine Auslegung des Vorgangs und gehört nicht zum Vorgange selbst. Man schließt hier nach der grammatischen Gewohnheit »Denken ist eine Tätigkeit, zu jeder Tätigkeit gehört einer, der tätig ist, folglich –«. Ungefähr nach dem gleichen Schema suchte die ältere Atomistik zu der »Kraft«, die wirkt, noch jenes Klümpchen Materie, worin sie sitzt, aus der heraus sie wirkt, das Atom; strengere Köpfe lernten endlich ohne diesen »Erdenrest« auskommen, und vielleicht gewöhnt man sich eines Tages noch daran, auch seitens der Logiker ohne jenes kleine »es« (zu dem sich das ehrliche alte Ich verflüchtigt hat) auszukommen.

Nietzsches Beitrag zu Dualismus versus Monismus ist also durchaus methodisch. Er begegnet der Frage nach Körper und Geist mit einem sprachphilosophischen Ansatz. Freilich ohne ins Detail zu gehen.

Wahrscheinlich erinnert er sich hier an seine frühere Schrift „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne“.

Friedrich Nietzsche war gewiss ein großer Geist, ein Meister der deutschen Sprache. Doch obwohl sein außergewöhnliches Denken zweifellos interessant ist: Ich denke, man muss vorsichtig sein, ihn als Propheten zu betrachten. Als Propheten der Dialektik der Aufklärung, als Propheten der Psychoanalyse, als Propheten der Dekonstruktion, des Existenzialismus, etc..

Nietzsche wirft Fragen auf, ohne sich mit ihnen wirklich auseinandersetzen zu wollen (!) und zu können. Das ist seiner „Methode“ geschuldet.

Dienstag, 28. Januar 2014

Borkum Riff: Scandinavian Mixture vs. Mixture Scandinavian



Die „Scandinavian Mixture“ war der zweite Pfeifentabak meines Lebens. Der erste war der Mc Lintock „Wild Cherry“ und obwohl ich damals noch völlig neu bei der Sache war, hatte ich schon nach den ersten 3,4 Füllungen so eine Ahnung: Es muss doch bessere Tabake geben.

Vielleicht gibt es ja Tabake, dachte ich, die „natürlicher“ schmecken und mehr bieten als dünnen, künstlichen Kirschgeschmack, „harmonisch“ abgerundet mit heißer Luft.

Also bin ich in die Trafik gegangen, um mir einen „Tabak ohne Aromatisierung“ empfehlen zu lassen. In die Hand gedrückt wurde mir die „Scandinavian Mixture“ von Borkum Riff.

Dass die auch nicht ganz naturnah war, wurde mir erst einige Tabakkäufe später klar. Dennoch gefiel mir diese Mischung ganz gut. So gut immerhin, dass ich wenigstens einmal im Jahr einen 50g Pouch verraucht habe (bis jetzt).

Das tolle an der „Scandinavian Mixture“ war, dass sie einfach und ehrlich war. Ein milder Tabak, leicht geflavourt mit einem Aroma, das ich nie wirklich beschreiben konnte.  „Dunkle Schokolade mit Rosenöl“ – zufrieden bin ich mit meiner Beschreibung nicht, aber ich krieg es nicht besser hin.

Doch obwohl diese – zugegeben – merkwürdige Kombination heftig klingt, war das Flavour sehr dezent und lies genug Platz für einen würzigen, tabakechten Grundcharakter.

Doch dann wurde aus der „Scandinavian Mixture“ die „Mixture Scandinavian“. Die Reihenfolge der Worte wurde einfach umgedreht, und die Schriftart geändert. Früher war „Scandinavian“ in Blockbuchstaben und „Mixture“ in geschwungener Schrift – heute ist es genau anders herum.

Leider hat der neue „blaue Borkum Riff“ mit dem alten überhaupt nichts mehr zu tun. Der Geruch ist immerhin fast noch derselbe, abgesehen davon, dass er mit einer grausamen Vanillenote „verbessert“ wurde. Die ersten Züge erinnern noch an frühere Zeiten, doch nach dem ersten Drittel verblasst der Geschmack, wie eine alte Erinnerung (um es poetisch zu sagen).Es folgen 30 Minuten heiße Luft, sofern man die Pfeife nicht vorher weglegt.

Schade, dieser Tabak war mal richtig gut. Ich werde schauen, ob ich noch ein paar alte Pouches aus Restbeständen ergattern kann. Die werde ich mir dann gut einteilen. Denn obwohl die „Scandinavian Mixture“ niemals in der Oberliga gespielt hat, tut es doch ein bisschen weh, wenn ein durchaus solider „Tankstellentabak“ in eine 0815 Rauchpappe verwandelt wird.

Ein bisschen Recherche ergab außerdem, dass der Tabak früher von Swedish Match produziert wurde, heute jedoch von der Scandinavian Tabacco Group. Außerdem wurde der Burley durch Black Cavendish ersetzt – ich denke da liegt der Hund begraben.





Samstag, 25. Januar 2014

Magne Falkum Tullagreme House #3



Das Tabakhaus Falkum bietet drei Flakes im Rahmen der „Tullagreme House“ Serie an. Alle werden von Kohlhase und Kopp fabriziert und verfügen demnach über exzellente Raucheigenschaften. Bei keinem der Tabake kann man etwas falsch machen. #2 und #6 zeichnen sich durch ein sehr helles Tabaksbild und eine gehörige Virginiasüße aus. Beide sind  leicht bis mittel einzustufen.

Ich will mich hier auf die #3 konzentrieren, weil sie für meine Begriffe die interessanteste Kandidatin ist.
Der „Tullagreme House #3“ ist der kräftigste Flake der Serie, aber auch er ist weit davon entfernt als stark eingestuft zu werden. Für meine Begriffe ist er ein „typisch mittelstarker“ Flake.

Der Dose entströmt kein Aroma, das der Flakeliebhaber nicht schon kennt: dunkles Brot, Trockenfrüchte, ein bisschen säuerlich, … ganz klassisch.

Im Unterschied zu #2 und #6 ist das Tabaksbild der #3 sehr dunkel. Das wirkt sich auf den Geschmack aus: Die #3 ist süffiger, voller.  Die typische Virginiasüße ist nicht so intensiv wie bei #2 und #6. Ich würde sagen:  So präsent wie nötig und so dezent wie möglich. So wird der Tabak nie zu süß und lässt genug Platz für angenehm-würzige Aromen, die nie überhand nehmen. Abgerundet wird dieser hervorragende Flake durch eine leichte Säuerlichkeit. Dafür wird wohl eine kleine Prise Perique verantwortlich sein.

Somit komme ich zum Fazit, dass der „Tullagreme House #3“ ein uneingeschränkt zu empfehlender Flake ist. Die Kunst der Flakeherstellung wurde mit ihm nicht neu erfunden, aber er gehört zu meinen meistgerauchten Tabaken überhaupt. Hier stimmt einfach alles, nicht zu süß, nicht zu rustikal, nicht zu schwach, nicht zu stark.

Einen winzigen Minuspunkt gibt’s für die Konsistenz: Der Flake zerbröselt ziemlich leicht. Das erkennt man auch am Foto: Obwohl die Dose kaum halb geleert ist, hat sich schon genug für einen ready rubbed angesammelt. Knick und Falt Fundamentalisten müssen den Tabak also besonders vorsichtig handhaben.

Wer leichtere Flakes mag, sollte #2 und #6 probieren. (Werden reviewt, sobald ich sie wieder habe.)


Montag, 20. Januar 2014

Rauchverbote oder: warum es um mehr geht, als ums Rauchen



Rauchverbote dienen, so heißt es, dem Gesundheitsschutz. Der Staat denkt dabei nicht nur an die Gesundheit der Nichtraucher, sondern auch an die der Raucher. Ist das nicht eigentlich eine feine Sache? Jahrhundertelang hat sich der Staat überhaupt nicht für die Gesundheit der Menschen interessiert. Stattdessen hat er seine Bevölkerung in sinnlosen Kriegen sterben lassen. Und wenn der Krieg zu Ende war, durften sie nach Hause gehen und sich auf Feldern und in Fabriken ausbeuten lassen. Wer nicht im Krieg starb, der starb in der Fabrik oder der Kohlegrube.

Doch heute haben wir zum Glück einen viel humaneren Staat. Er ist eigentlich das genaue Gegenteil von dem furchtbaren Staat früherer Zeiten. Unserem Staat ist unser Wohlergehen nicht egal. Ganz im Gegenteil: Er kümmert sich um unsere Gesundheit. Bisher geschah das vor allem durch ein Sozialsystem. Das ist halt im Moment im Abbau begriffen, wegen der Krise. Aber der Wille zählt! Und obwohl für den Sozialstaat kein Geld mehr da ist (der einzelne Mensch ist halt nicht so systemrelevant, wie eine große Bank), lässt uns unser Staat nicht hängen. Er verändert einfach seine Strategie. Indem uns vorgeschrieben wird, was wir zu tun und zu lassen haben, sollen wir erst gar nicht krank werden! Ein doppelter Gewinn: Der Staat spart das Geld (das brauchen andere dringender), und uns selbst bringt es (angeblich) Gesundheit – auch wenn es bis heute äußerst unklar ist, was und wie viel wovon eigentlich wirklich gesund ist. Egal, der gute Wille zählt!
Unser Staat ist sogar so human und fortschrittlich, dass er mit der Regulierung des Rauchens nicht mal nur die Nichtraucher schützen will. Sogar die Raucher selbst will er schützen! Wenn das nicht fürsorglich ist! Mittlerweile gibt sogar der eine oder andere Raucher zu, dass er sich über die Rauchverbote freut.
Dennoch. Viele Leute werden das Gefühl nicht los, dass es bei den Rauchverboten um mehr geht, als ums Rauchen. Doch was ist dieses „mehr“? - Dessen Analyse konsequent nicht stattfindet. Warum beschränkt sich die öffentliche Diskussion nur auf das unmittelbare Für und Wider? Ich habe versucht, dieses „mehr“ philosophisch zu analysieren. Dabei habe ich drei Punkte gefunden, die auf eines hindeuten: Die Entsolidarisierung.

Hilfreich für diese Analyse war das Denken von Robert Pfaller (der in den letzten Jahren einige äußerst lesenswerte Bücher geschrieben hat, z.B. „Wofür es sich zu leben lohnt“), Michel Foucault und Immanuel Kant. Anstatt diesen Text mit Quellenangaben zu strapazieren, sei an dieser Stelle einfach auf diese Philosophen verwiesen.


1) Neutralisierung der Öffentlichkeit (Robert Pfaller)

Ist es angemessen, in einer öffentlichen Diskussion hauptsächlich darüber zu sprechen, wer und wie viele sich „belästigt“ fühlen? Ist das Kriterium des „sich belästigt fühlen“ eigentlich angemessen, wenn es Ge- und Verbote im öffentlichen Raum geht? Fordert dieses Kriterium nicht geradezu dazu auf, dass jeder den öffentlichen Raum als erweitertes Wohnzimmer versteht?
Moment, die Öffentlichkeit als Wohnzimmer? Das klingt ja gar nicht so schlecht, oder?
Doch. Weil mangels praktikablen Kompromisses überhaupt nichts mehr erlaubt wäre. Essen, Rauchen, spielende Kinder, Erholung, Klassik oder Techno…  Jeder Mensch hat verschiedene Vorstellungen davon, was in ein gemütliches Wohnzimmer gehört. Und wenn niemand sich belästigt fühlen soll… Richtig, dann kann am Ende überhaupt nichts mehr erlaubt sein. Das Wohnzimmer wird zum Klassenzimmer. Und in dem sitzt nicht eine Petze, sondern nur noch Petzen.

Dabei sollte Öffentlichkeit eigentlich mehr sein, als ein Wohnzimmer, denn dann könnte man ja gleich zu Hause bleiben. Öffentlichkeit sollte ein Ort der Begegnungen und Möglichkeiten sein. Dabei muss nicht alles, allen gefallen. Eine Öffentlichkeit, die nur noch das bietet, was allen gefällt (der minimalst denkbare Kompromiss), ist eben keine Öffentlichkeit mehr. Eine solche „Öffentlichkeit“ hat keine Potentiale und ihre Bürger bringen politisch nichts mehr zustande.
Die Funktion der Öffentlichkeit ist nämlich auch eine politische. Denn sie ist das Forum der Bürger. Erst hier werden viele Einzelne zur „Gesellschaft“ zusammengefasst. Diese wiederum ist das Instrument, das den Staat lenkt.  

Wenn es keine Gesellschaft gibt (aus der sich z.B. auch die „Zivilgesellschaft“ als Träger der Moral bildet), steht der Einzelne dem Staat völlig ausgeliefert gegenüber, der stattdessen von irgendwem anderen (Technokraten, Lobbys, etc.) gelenkt wird.
Man könnte auch sagen: Das öffentliche ist politisch. Es ist zwangsläufig politisch. Es gibt keine Diskussion über Ge- und Verbote in der Öffentlichkeit, die nicht fundamental relevant ist. Die Art und Weise, wie Öffentlichkeit gestaltet wird, weist direkt auf den Zustand der Demokratie hin. Selbst, wenn es angeblich „nur“ ums Rauchen geht.

Das Angebot einer Politik, die sich human gibt, und für jeden, der sich belästigt fühlt, ein Verbot erlässt, könnte ein geschickter Raubzug sein, der es auf die mächtigste Waffe der Bürger abgesehen hat: Eine dynamische Öffentlichkeit, die zwar nicht frei von unterschiedlichen Ansichten ist, aber in der die Bürger Würde empfinden können – weil man von ihnen verlangt, sich als Erwachsene zu benehmen. Eine Politik, die Bürger ermutigt, sich empfindlich wie Kinder zu verhalten, sollte hinterfragt werden – egal worum es geht.


2) Nicht Fürsorge, sondern „Biomacht“ (Michel Foucault)

Einen anderen Anhaltspunkt habe ich in Michel Foucaults (1926-1984) Konzept der Biomacht gefunden. Die „traditionelle“ Macht, war eine Macht über Leben und Tod. Der Lehnsherr hatte (theoretisch) jederzeit die Möglichkeit, das Leben seiner Untertanen zu beenden, man denke an die eigentumsgleiche Stellung der Leibeigenen.

Doch mit der Moderne muss man ein neues Konzept der Macht entwickeln. Denn die traditionelle Macht, die sich einfach darin erschöpft über Leben und Tod zu gebieten, passt nicht mehr. Die ökonomischen Veränderungen (Industrialisierung, Aufkommen des Kapitalismus) erfordern ein neues Konzept. Jetzt kommt es darauf an, das Leben der Untertanen zu fördern, zu optimieren und zu regulieren(!), damit sich diese in die Produktionsprozesse optimal einpassen.

Erst jetzt werden Angelegenheiten wie Gesundheit, Geburtenrate, Sexualität und Lebensgewohnheiten ein Thema für die Politik. Vorher waren diese Dinge relativ uninteressant. Ab nun behandelt die Politik fast nur noch diese Fragen. Politik wird fast ausschließlich Biopolitik.

Das „freie“ Subjekt

Diese neue Art der Machtausübung wird nicht mehr „von oben herab“ ausgeübt, wie das früher der Fall war. Stattdessen entwickelt sich ein dichtes Netz von Diskursen, das die gesamte Gesellschaft durchzieht.
Diese Diskurse bestimmen, grob gesagt, welche Aussagen getroffen werden können, welche Schlussfolgerungen gezogen werden können, was als wahr oder falsch gelten kann. Diskurse bestimmen, was als „Wissen“ gelten kann. Das heißt auch, dass Macht nicht mehr lokalisiert werden kann. Nicht „die Regierung“ allein übt die Macht aus. Macht, als Diskurs, durchzieht als Netz die gesamte Gesellschaft, jeder kann hier Macht ausüben, solange er dabei den vorgegebenen Regeln des Diskurses folgt.

Ist nicht der Hass, der den Rauchern teilweise entgegenschlägt, bemerkenswert? Es könnte einem ja egal sein, ob jemand raucht oder nicht. Warum aber dieser Fanatismus, warum diese Lust an harten Worten? Weil die harten Worte mit einem Diskurs korrelieren. Und der Diskurs ist Machtausübung. Die Lust an den harten Worten ist eine Lust an der Machtausübung, nicht bloß die Lust am „pöbeln“.

Doch der Diskurs ist perfider, als dass er bloß den radikalen Nichtrauchern die Möglichkeit gibt, Macht auszuüben. Kennt nicht jeder einen Exraucher, der sagt, er fühle sich erst wirklich frei, seit er mit dem Rauchen aufgehört hat? Übersetzt in Foucaults Denken heißt das: Vorher durfte er sich nicht frei fühlen, weil ihm das der Diskurs eingebläut hat: „Wer raucht, ist nicht frei!“ – Was auch immer „frei“ bedeuten soll, dieser Begriff spielt in Wahrheit keine Rolle. Er klingt nur gut.

Nicht nur dem radikalen Nichtraucher, auch dem Raucher macht der Diskurs das verlockende Angebot, an der Macht teilzuhaben. Aber nur, wenn er mit dem Rauchen aufhört. Solange er raucht, ist er machtlos, ein Sklave seiner Sucht.

An dieser Stelle muss man sich überlegen, ob es angemessen ist, für uns, die wir uns gerne als die „moderne Welt“ bezeichnen, solche manipulativen Methoden zuzulassen.


3) Relativierung der Würde (Immanuel Kant)

Bleiben wir bei den harten Worten: Warum war es den Machern des Antiraucherdiskurses so wichtig, die Raucher explizit in die Nähe der Unfreiheit zu stellen? Warum hat man sich nicht damit begnügt, das Rauchen einfach als „schlechte Angewohnheit“ zu disqualifizieren, wie es schon früher gemacht wurde?
Das hat „gute“ Gründe, die beweisen, wie intelligent das ganze geplant ist. Denn die Besonderheit des Menschen liegt darin, ein Freiheits- und Vernunftwesen zu sein. Das ist eine zentrale Errungenschaft des christlich-abendländischen Denkens der letzten 2500 Jahre. Das erst unterscheidet den Menschen vom Tier. Es ist die Fähigkeit über sich selbst zu reflektieren und sich autonom Ziele zu setzen. Nichts anderes besagt der kategorische Imperativ:

Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Element der Freiheit: Der kategorische Imperativ gibt keine inhaltliche Regel vor, wie etwa „du sollst nicht töten“ oder „du sollst nicht rauchen“. Im Gegenteil: Das Individuum selbst ist berufen, eine konkrete Regel zu formulieren (=Element der Autonomie = Selbstgesetzgebung).
Das wunderbare ist, dass im kategorischen Imperativ bereits der Gedanke der Toleranz mitschwingt (obwohl das nichtmal sein Hauptanliegen ist).

Doch wer nicht frei ist, der ist auch nicht zur Autonomie fähig. Doch die Freiheit bildet das Zentrum der Menschenwürde.  Menschenwürde besagt nichts anderes, als den Menschen allein schon deshalb zu achten, weil er ein Mensch ist. Die Würde des Menschen ergibt sich letzten Endes aus seiner Fähigkeit zur Autonomie. Und genau diese will man den Rauchern absprechen. Wenn es heißt, Raucher sind nicht frei, heißt es implizit: Sie haben keine Würde und sind eigentlich keine echten Menschen.

Menschenwürde ernstnehmen

Natürlich könnte man meinen, es sei übertrieben im Zusammenhang mit den Rauchverboten, von tiefgründigen Begriffen, wie der Menschenwürde,  zu sprechen.
Aber bei einer philosophischen Analyse des Themas drängt sich dieser Begriff zwangsläufig auf. Wenn dem Raucher die Freiheit abgesprochen wird, wird  auch automatisch seine Würde in Frage gestellt. Denn diese definiert sich nun mal (u.a.) über die Freiheit. 


Fazit: Drei „mehrs“

1) Der Begriff der Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit wird zunehmend in einen sterilen Raum verwandelt, in dem niemand mehr mit Dingen konfrontiert wird, die ihn stören könnten. Doch diese Art von Öffentlichkeit hat uns nichts mehr zu bieten. Sie ist tot. Das hat bedenkliche, politische Konsequenzen.

2) Biomacht. Der moderne Staat will nicht „unser Bestes“, er ist nicht „besorgt“ um uns. In erster Linie geht es ihm um Effizienz. Gesundheit an sich soll der höchste Wert sein, denn das bringt die größte Effizienz. Fragen nach einem (individuellen) Sinn des Lebens sind dagegen ökonomisch irrelevant.

3) Beim Antiraucherdiskurs handelt es sich nicht einfach nur um die Unterdrückung und Diskriminierung der Raucher. Im Gegenteil: Dieser Diskurs bietet Macht an. In erster Linie bietet er den Nichtrauchern Möglichkeiten zur Machtausübung an. Doch auf perfide Weise erfasst er auch den Raucher: Seine Freiheit wird eine Frage von Rauchen oder Nichtrauchen (So absurd das auch klingen mag – es funktioniert). Wie plausibel das ist, das wird aus gutem Grund ausgespart.


Entsolidarisierung

Der Einzelne soll für alles verantwortlich gemacht werden, was ihm widerfährt. Denn der Sozialstaat wird angeblich zunehmend zu teuer. Das Rauchen bietet einen guten Einstiegspunkt, die Solidarität aufzuheben (Robert Pfaller):

Was, du hast Lungenkrebs? Das kann nur daran liegen, dass du geraucht hast, oder dich in der Nähe von Rauchern aufgehalten hast, oder sonst irgendwie „ungesund“ gelebt hast. Denn wir haben das Rauchen ja überall verboten und dir gesagt, was alles „ungesund“ ist. Das war deine Verantwortlichkeit, also zahl auch für deine Behandlung selber, oder stirb“.

Foucault: „Das alte Recht sterben zu machen, oder Leben zu lassen, wurde abgelöst von einer Macht […] in den Tod zu stoßen.“