Freitag, 28. Februar 2014

Ich weiß, dass ich nichts weiß...

... so lautet vermutlich eines der bekanntesten geflügelten Worte überhaupt. Jeder kennt diesen Satz, doch was bedeutet er? Ist er Ausdruck eines radikalen Skeptizismus?
Nein - genau das Gegenteil ist der Fall. Was dieser Satz zum Ausdruck bringt, damit will ich mich in den folgenden zwei oder drei Beiträgen befassen.

Zunächst können wir festhalten: Dieser Satz stammt von Sokrates (469-399 v.Chr.), dem bekanntesten Philosophen der griechischen Antike. Er war Lehrer des Platon (427-347 v.Chr.). Platon wiederum war Lehrer des Aristoteles (384-322 v.Chr.). Somit hätten wir die "großen drei" der griechischen Philosophie in einen Zusammenhang gebracht.

Sich mit einzelnen gedanklichen Systemen auseinanderzusetzen, ist in aller Regel nicht zielführend. Man muss wissen, was vorher war - Neuerungen im Denken sind Reaktionen, keine plötzlichen Geistesblitze von Genies.

Daher müssen wir uns, bevor wir uns mit Sokrates befassen, mit der philosophischen Strömung befassen, die vor ihm war: der Sophistik.


Die Sophistik

Athen im 6.Jhdt. v. Chr. muss in einer sehr turbulenten Verfassung gewesen sein: Die Perserbedrohung war immanent. Die Aristokratie, die bisher ein Monopol auf die politische Macht hatte, verlor an Bedeutung. Warum?

Bisher war das Kriegführen Sache der Aristokratie. Nur sie konnte sich Waffen leisten, und wusste mit diesen umzugehen. Daher waren es auch die Aristokraten, die für politische Entscheidungen zuständig waren. Doch angesichts der Perserbedrohung mussten die Griechen ihre Flotte aufrüsten. Sie bauten Trieremen. Diese wurden mittels Ruderern bewegt. Also mussten nun auch die normalen Bürger zum "Wehrdienst" herangezogen werden. Die Aristokraten waren nicht mehr die einzigen, die an kriegerischen Handlungen beteiligt waren. Infolge dessen forderten auch die einfachen Bürger politische Mitbestimmung. Das ist logisch:

Wer am Krieg teilnimmt, war zu dieser Zeit auch für die Politik zuständig.
Die griechische Demokratie war geboren.


Eine neue Art von Politik

Die Beteiligung der Bürger an politischen Entscheidungen führte aber zu einer Herausforderung: Bisher überzeugte eine politische Entscheidung, weil sie von einem Aristokraten kam. Doch nun war das nicht mehr maßgeblich. Jetzt stand man vor der Schwierigkeit, dass man die anderen nicht mehr allein durch kriegerische Erfolge von der Richtigkeit einer politischen Ansicht überzeugen konnte. Politische Ansichten mussten vernünftig begründet werden, sie mussten transparent werden. Andere mussten sie argumentativ nachvollziehen können, wenn man ihre Stimme gewinnen wollte.

Wie erreicht man das? Mittels Rhetorik und politischer Bildung.


Der Aufstieg der Sophisten

Hier kommen die Sophisten ins Spiel. Es handelt sich hierbei nicht um eine einheitliche philosophische Strömung (die Ansichten der Sophisten unterscheiden sich teils enorm voneinander).

Die Sophisten waren Privatgelehrte, die (gegen Geld) Unterricht in politischer Bildung und Rhetorik vermittelten. Auch hoben sie die Philosophie auf eine neue Ebene. Die bisherige Naturphilosophie sah den Menschen als Bestandteil einer großen kosmischen Ordnung, in welche er sich einfügt. Die Sophisten nehmen nun den Menschen aus dieser großen kosmischen Ordnung heraus, und fragen sich: Was ist der Mensch? Was ist sein Wesen? Was ergibt sich daraus für die politische Ordnung? Welche politische Ordnung entspricht seiner Natur? Welche ist daher die beste?

Nicht ohne Grund wird die Sophistik gelegentlich als "griechische Aufklärung" bezeichnet.


Der Mensch als Maß aller Dinge

Doch die Sophisten glitten in den Subjektivismus und in den Relativismus ab. Wahrheit erscheint jedem Menschen verschieden. Wahrheit ist eine subjektive Angelegenheit. Vielleicht gibt es eine objektive Wahrheit, aber die ist uns Menschen unmöglich zugänglich.
Der Sophist Protagoras bringt es folgendermaßen auf den Punkt:

"Der Mensch ist das Maß aller Dinge, der Seienden, wie sie sind, der Nicht-Seienden, wie sie nicht sind."

Protagoras leugnet garnicht das Bestehen einer objektiven Wahrheit, nur sie ist für uns Menschen nicht von großer Bedeutung, da wir sie sowieso nicht erfassen können. Aber das heißt nicht, dass jeder irgendwie Recht hat. Es ist zumindest möglich, eine gute Meinung von einer schlechten Meinung zu unterscheiden - mithilfe der Rhetorik. (?)

Wie erwähnt, sind die Sophisten keine einheitliche Strömung. Protagoras ist vielleicht so etwas wie ein gemäßigter Skeptizist. Andere Sophisten, vertreten einen radikalen Skeptizismus, und interessieren sich überhaupt nicht für die Wahrheit. Sie interessiert nur, wie man eine Meinung möglichst rhetorisch geschickt verpacken kann, um damit andere zu überzeugen. Ethische Bedenken kennen sie nicht.
Diesen Entartungen von Politik und Philosophie sollte Sokrates entgegentreten.