Im letzten Teil haben wir die traditionelle Wissensdefinition kennengelernt:
S weiß, dass p, wenn
1) p wahr ist (Wahrheitsbedingung)
2) S glaubt, dass p (Glaubensbedingung)
3) S rechtfertigende Gründe hat, p zu glauben
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Edmund Gettier bewies, dass diese Definition unzureichend ist. Als Beweis konstruierte er Beispiele, so genannte "Gettier Fälle".
Diese beruhen auf zwei Prinzipien:
A) Das Prinzip der gerechtfertigten Falschheit
"Man kann auch für falsche Annahmen rechtfertigende Gründe haben."
Bsp.: Ich habe rechtfertigende Gründe für die Annahme, heute sei Montag, weil ich auf die Uhr geschaut habe. Tatsächlich ist die Datumsanzeige stehen geblieben, heute ist Dienstag.
B) Das Prinzip der gerechtfertigten Deduktion
"Wenn S gerechtfertigterweise x glaubt, und x y impliziert, darf S auch an y glauben."
Bsp.: Ich habe rechtfertigende Gründe für die Annahme, Hans lebt in Wien. (Ich habe seine Adresse im Telefonbuch gesehen.) Das impliziert, dass Hans in Österreich lebt. Also darf ich auch das gerechtfertigterweise glauben.
Mit diesen zwei Prinzipien kann man Fälle konstruieren, in denen die traditionelle Wissensdefinition nicht ausreichend ist.
Hier ein Gettier Fall, den ich mir ausgedacht habe:
Norbert Neidig und Georg Geizig kennen einander aus dem Golfclub.
Norbert
Neidig hat gute Gründe zu glauben, dass Georg Geizig eine Rolex
besitzt. Er hat nämlich eine Uhr mit dem Rolex Logo an Georg Geizigs
Handgelenk gesehen. Außerdem hat Georg Geizig ihm erzählt, dass er eine
Rolex hat, und ihm das Zertifikat gezeigt.
Norbert Neidig hat daher
gute Gründe zu glauben, dass Georg Geizig eine Rolex besitzt. Dass Georg
Geizig eine Rolex besitzt, impliziert, dass jemand aus dem Golfclub
eine Rolex besitzt. (Prinzip der gerechtfertigten Deduktion!)
Nobert Neidig darf also auch glauben: "Jemand aus dem Golfclub besitzt eine Rolex".
Tatsächlich
aber hat Georg Geizig keine Rolex, sondern nur eine billige Kopie aus
Fernost. Jedoch besitzt Peter Protzig, ebenfalls Mitglied im Golfclub,
eine echte Rolex. Norbert Neidig hat Peter Protzig noch nie gesehen.
Was ist geschehen? Norbert Neidig hat aus der falschen Prämisse "Georg Geizig besitzt eine Rolex" die richtige Prämisse "Jemand im Golfclub besitzt eine Rolex" ableiten können.
Doch will man wirklich sagen, dass Norbert Neidig weiß "jemand im Golfclub..."?
Nach der traditionellen Wissensdefinition müsste man sagen: Ja, er weiß es!
Warum?
1) Es ist wahr, dass jemand im Golfclub eine Rolex besitzt. (Wahrheitsbedingung)
2) Norbert Neidig glaubt dies auch. (Glaubensbedingung)
3)
Norbert Neidig hat rechtfertigende Gründe dies zu glauben. Er hat
nämlich am Handgelenk eines Golfclubmitglieds eine "Rolex" gesehen. (Rechtfertigungsbedingung)
Merke:
Norbert
Neidig könnte nicht wissen, dass Georg Geizig eine Rolex besitzt! Denn
hier wäre die Wahrheitsbedingung nicht erfüllt (Georg Geizig hat ja nur
eine Fälschung).
Aber er könnte - zumindest gemäß der traditionellen
Definition des Wissens - wissen, dass jemand aus dem Golfclub eine Rolex
besitzt, sofern man die Prinzipien A und B anerkennt.
Prinzip A: Norbert Neidig hat rechtfertigende Gründe für die falsche Annahme, Georg Geizig besitzt eine Rolex.
Prinip
B: Die Tatsache, dass Norbert Neidig gerechtfertigterweise glauben darf,
dass Georg Geizig, ein Mitglied des Golfclubs, eine Rolex besitzt,
impliziert logischerweise, dass jemand aus dem Golfclub eine Rolex
besitzt. (Daher darf Norbert Neidig das auch glauben.)
Es stellen sich zwei Probleme:
Wie kann es möglich sein, aus falschen Prämissen etwas Wahres abzuleiten?
Liegt hier wirklich Wissen vor? Nein, die traditionelle Wissensdefinition ist unzureichend: Denn dieses "Wissen" ist rein zufällig wahr. Peter Protzig
könnte ganz leicht eine Omega und keine Rolex besitzen - schon würde Norbert Neidig nicht mehr wissen "jemand im Golfclub...", weil dies falsch wäre.
Und wie wir aus
Teil 1 wissen, sollen rein zufällig wahre Tatsachen kein Wissen
darstellen.
Mit Versuchen, das Gettier Problem zu lösen, beschäftigen wir uns im dritten Teil.
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