Montag, 16. September 2013

Petersons Sunset Breeze



Der „Sunset Breeze“ ist ein recht weit verbreiteter Tabak der preislichen Mittelklasse.  Nein, an jeder Tankstelle wird man ihn vermutlich nicht bekommen. Aber überall, wo es mehr als drei Pfeifentabake gibt, stehen die Chancen ihn zu finden recht gut.

Die Mischung setzt sich aus Virginia, Burley und Black Cavendish zusammen. Optisch erscheint der Tabak recht ausgewogen, die dunklen Anteile überwiegen leicht.

Wir haben es mit einem Aromaten zu tun, angeblich brilliert der „Sunset Breeze“ durch ein „wonderful Amaretto aroma“, doch die Riechprobe lässt mich eher an süße Kirschbonbons denken. Diese Kirschbonbons sind so intensiv, dass das (immerhin) vorhandene Mandelaroma nur sehr hintergründig durchkommt. Und, wie bei jedem Mainstreamaromaten, darf auch eine Spur Vanille nicht fehlen.

Laut Wikipedia wird Amaretto ja eigentlich aus Mandel und Aprikosenkernen hergestellt. Kirschen haben mit Amaretto unmittelbar nichts zu tun, außer dass Amaretto gern mit Kirschsaft gemischt wird.

Die Brandeigenschaften des „Sunset Breeze“ sind tadellos. Obwohl er stark gesoßt ist, konnte ich bei den etwa 10 Füllungen, die bisher geraucht habe, keine unzumutbare Kondensatentwicklung feststellen.

Am besten schmeckt der Tabak, wenn er in einer etwas größeren Pfeife geraucht wird. Dann ist immerhin die erste Hälfte gar nicht schlecht. Doch leider erwartet den Pfeifenfreund in der zweiten Halbzeit nur noch heiße, leicht süßliche, Luft.









Fazit: Der „Sunset Breeze“ gehört eigentlich zur Spezies der Kirschtabake. Lediglich die ersten zehn Minuten liefern ein nettes Mandelaroma. Danach überwiegt das Kirscharoma, welches sukzessive schwächer wird, bis nur noch heiße Luft übrigbleibt. Erneute Kaufwahrscheinlichkeit: 0%.

Pfeifen Huber Finest Virginia



Dass Virginiatabake oft an den Geruch von Stroh, frisch gemähtem Gras oder einer Almwiese mit Kräutern erinnern, ist bekannt. Dass es aber einen Tabak gibt, der nicht nur „so ähnlich“ oder „annähernd“ so riecht,  wusste ich bisher nicht.

Der „Finest Virginia“ eignet sich auch als Geschenk für gestresste Nichtraucher aus der Großstadt. Er ist die perfekte Alternative zum Kurzurlaub auf dem Land. Einfach die Augen schließen, an der Dose riechen und schon glaubt man, an einem schönen Sommertag durch das Alpenvorland zu spazieren, vorbei an einer Blumenwiese, auf der ein malerischer Heustadel steht.

Nun ja, man kann es mit dem Topcasing wohl nicht nur bei Hocharomaten übertreiben…

Aber dennoch ist der „Finest Virginia“ ein Tabak, der seine Vorzüge hat. Schon allein die Optik macht den Virginiafreund neugierig: Eine sehr helle, reine Virginiamischung, fein geschnitten.  
Der Kenner weiß sofort: Hier muss man eine kleinere Pfeife wählen und mit Bedacht rauchen.
Nur dann offenbart sich die volle geschmackliche Pracht, dieses sanften und sehr leichten Virginiatabaks. 

Der „Finest Virginia“ ist nämlich ein Tabak der feinen Nuancen, aber: Er ist nicht komplex. Ein schlichter, bodenständiger Naturbursche also, mit einem äußerst geringen Nikotingehalt.

Gut geeignet ist der Tabak für Virginianeulinge und solche, die ihre ersten Gehversuche im filterlosen Rauchen machen. Dieser Tabak ist nämlich auch ohne Filter wunderbar sanft und leicht. Ich würde sogar sagen, dass das einer der Tabake ist, die man nur ohne Filter rauchen sollte. Denn dann schmeckt er interessanter, blumiger und würziger, bleibt aber gleichzeitig unglaublich mild.

Die Freunde der kräftigen Flakes und Plugs werden mit dem „Finest Virginia“ aber wahrscheinlich weniger anfangen können.




Mittwoch, 11. September 2013

Ich denke, also bin ich - Teil 3: Ein philosophischer Einwand

Ein etwas komplizierterer, aber äußerst interessanter Einwand, ist folgender:

"René Descartes interpretiert das Leibnizsche Identitätsprinzip falsch."

Rufen wir uns dieses nocheinmal in Erinnerung:

"Zwei Dinge sind dann miteinander identisch, wenn sie über dieselben Eigenschaften verfügen."

Eine descartsche Schlussfolgerung, nennen wir sie [A], war:

[A] "Der Körper hat die Eigenschaft, von mir angezweifelt werden zu können. Der Geist hat diese Eigenschaft nicht."

Doch ist diese Schlussfolgerung wirklich richtig?
Erinnern wir uns zunächst an einige andere Schlussfolgerungen:

[B] "Der Körper kann nur als etwas räumliches begriffen werden. Der Geist auch als etwas nichträumliches."
[C] "Den Körper kann man sich in Teilen vorstellen. Den Geist nicht."

[B] und [C] sollen für unsere Zwecke als unproblematisch gelten. Doch es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen diesen beiden und [A].


Objektive und subjektive Eigenschaften

Wenn man [B] sagt, dann trifft man eine Aussage über eine objektive Eigenschaft des Körpers. Die Eigenschaft ist quasi am Körper selbst ersichtlich. Jeder kann den Körper untersuchen und zu der Schlussfolgerung kommen, dass der Körper etwas räumliches ist. Niemand kann zu der Schlussfolgerung kommen, dass der Körper etwas nichträumliches sei.

Dasselbe gilt für [C]. Die in [C] angesprochenen Eigenschaften sind objektiv - sie ergeben sich aus der Beschaffenheit des Körpers. Jeder kann die Beschaffenheit des Körpers erfassen, und bestätigen, dass man ihn sich auch bloß in Teilen vorstellen kann. Hier soll es genügen, dass auch die Schlussfolgerung, dass man sich den Geist nicht in Teilen vorstellen kann, ebenfalls unproblematisch ist. (In Wahrheit ist sie das nicht, aber darum soll es hier nicht gehen.)

-> Descartes Schlussfolgerungen [B] und [C] sind gültig. Sie betreffen objektive Eigenschaften - Eigenschaften, die sich aus der Beschaffenheit des Körpers ergeben und für jeden überprüfbar sind.





Doch ist [A] auch eine objektive Eigenschaft des Körpers?
Ist es eine objetktive Eigenschaft des Körpers, dass er von X angezweifelt werden kann? Jeder kann den Körper untersuchen, alles über ihn in Erfahrung bringen. Doch niemand kann, auch wenn er alles über den Körper weiß, sagen: "Eine Eigenschaft des Körpers ist, dass X ihn anzweifelt".

Die Eigenschaft "anzweifelbar" ist anscheinend keine objektive Eigenschaft des Körpers. Es ist eine Eigenschaft, die ein konkretes Subjekt hat (oder nicht). Genauso, wie es eine Eigenschaft des konkreten Subjektes ist, ob es weiß, dass mein Auto grün ist. Man kann alle Eigenschaften meines Autos kennen, aber dennoch wird man nicht wissen, ob X weiß, dass es grün ist.

Die Eigenschaft "der Körper kann angezweifelt werden" ist anscheinend eher eine Eigenschaft dessen, der ihn anzweifelt.




-> [A] betrifft eine subjektive Eigenschaft eines Subjektes, aber keine objektive Eigenschaft des Körpers.

-> Das Leibnizsche Identitätsprinzip ist nur auf objektive Eigenschaften sinnvoll anwendbar. Nicht aber auf subjektive.

Montag, 9. September 2013

Ich denke, also bin ich. Teil 2: Einwände gegen Descartes

René Descartes berühmte Untersuchung zum Leib-Seele Problem war zweifellos für die geistige Entwicklung Europas ein unglaublich wichtiger Beitrag.
Dennoch kann man seine Schlussfolgerungen heute nicht einfach so unterschreiben. Bevor wir zum ersten Einwand kommen, lohnt sich ein genauerer Blick auf Descartes Dualismus.


Der interaktionistische Substanzdualismus

Körper und Geist sollen also zwei verschiedene Substanzen sein. Wie arbeiten sie zusammen?
Der Körper sammelt Informationen über die Umwelt. Er sammelt optische, akkustische und sensorische Eindrücke.
Diese leitet er sodann an den Geist weiter. Der Geist überlegt nun, was er tun soll, und befiehlt dem Körper, wie er reagieren soll.

zB: Der Körper leitet die Information "Hitze!" an den Geist weiter. Der Geist registriert die Information, überlegt sich eine angemessene Reaktion, und leitet seinen Entschluss an den Körper weiter. Der Körper gehorcht, und man nimmt die Hand von der Herdplatte.

Körper und Geist sind also zwei Substanzen, die miteinander interagieren (daher "interaktionistischer Substanzdualismus"), wobei der Geist über den Körper herrscht.


Ein erster Einwand - Wozu so ein großes Gehirn?

Doch bereits diese an sich ja nachvollziehbare Vorstellung bereitet Probleme. Wenn die Hauptarbeit vom immateriellen Geist geleistet wird, und der Körper ein reiner Befehlsempfänger ist, wozu brauchen wir Menschen dann überhaupt so ein großes Gehirn? Beachte: Der Geist sitzt nicht im Gehirn, sondern ist etwas immaterielles, das unabhängig vom Gehirn vorstellbar ist!
Eigentlich bräuchten wir ja nur ein Gehirn, das in der Lage ist Reize zu empfangen, und Bewegungen zu koordinieren. Das Gehirn eines Hundes wäre dazu auch in der Lage.


Ein zweiter Einwand - Warum so eine beschränkte Interaktion?

Nach Descartes Vorstellung ist die Zirbeldrüse der Ort, wo der Geist mit dem Körper interagiert. Doch warum kann der Geist nur dort auf den Körper einwirken? Warum kann man mit dem Geist nicht beispielsweise auch auf unbelebte Matiere einwirken, oder gar auf andere Körper?


Ein dritter Einwand - naturwissenschaftliche Widersprüche

Ein empirisches Gegenargument könnte lauten: Der Geist wurde bisher nicht nachgewiesen. Nun sind empirische Argumente leztlich immer unsichere Argumente. Nur weil wir etwas nicht nachweisen können, heißt das nicht, dass etwas nicht existiert. Vielleicht können wir ja in 500 Jahren den Geist empirisch nachweisen.
Heben wir das Argument vielleicht besser auf eine abstraktere, rationalistischere Ebene, und fragen wir uns: Wie kann etwas Immaterielles auf etwas Materielles einwirken? Widerspricht das nicht den Energieerhaltungssätzen der Physik? Widerspricht das nicht der Vorstellung, dass die Welt in sich kausal geschlossen ist?
Ein immaterieller Geist, der auf die materielle Welt einwirkt, erschafft quasi aus dem Nichts eine neue Kausalkette - eine problematische Vorstellung.

Sonntag, 8. September 2013

Ein marxistischer Gedanke…



Die Politik predigt: „Wir müssen den Gürtel enger schnallen. Die tatsächlichen Verhältnisse erfordern es.“
 
Die Moralisten predigen:  „Wir müssen uns beschränken. Der moralische Anstand gebietet es.“

Ich denke, also bin ich



René Descartes sitzt in einem Cafehaus. Die Kellnerin fragt ihn: "Möchten sie noch etwas?"
René Descartes antwortet: "Ich denke nicht." - und löst sich in Luft auf.

  
"Ich denke, also bin ich."
So lautet wahrscheinlich der bekannteste Satz der Philosophiegeschichte. Jeder kennt ihn und jeder weiß, dass er von René Descartes stammt.
Doch was bedeutet dieser Satz eigentlich? Etwa das, was die Pointe obigen Witzes ausmacht? Wohl kaum, denn sonst wäre die Pointe keine Pointe.

Der Satz mutet deswegen so geheimnisvoll an, weil er lediglich die Konklusion einer langen Ausführung ist. "Ich denke, also bin ich" allein, ist etwa so aussagekräftig wie die Zahl 7. Mit 7 fängt man auch nichts an, wenn man nicht weiß, wie die 7 zustande gekommen ist.

Schauen wir uns also an, wie die Schlussfolgerung "Ich denke, also bin ich" zustandekommt:

Das Leib-Seele Problem

Zunächst muss man sich die Grundfrage des Leib-Seele Problems bewusst machen: Sind Körper und Geist zwei voneinander verschiedene Substanzen (Dualismus), oder handelt es sich um eine Substanz (Monismus)?
Wir leben heute in einer sehr szientistisch geprägten Zeit. Biologie und Physik gelten als Leitwissenschaften. Intuitiv würden die meisten sich zum Monismus bekennen. Für eine "Seele" oder einen "Geist" ist in unserer vermeintlich aufgeklärten Gesellschaft kein Platz. Scheinbar kann man alles auf Gehirnprozesse reduzieren. Gefühle, Bewusstsein, etc. sind nur das Ergebnis von Hormonen, Botenstoffen und der gleichen. Nun, ich würde zustimmen, dass das Konzept "Seele" überholt ist, doch die Reduktion des subjektiven Erlebens auf Hormone, Botenstoffe, etc. ist höchst problematisch, und das ist übrigens auch den meisten Gehirnforschern klar.

René Descartes versucht in der "6.Meditation" eben jenes Problem (Geist und Körper, oder nur Körper?) philosophisch zu untersuchen.

Ein Gedankenexperiment

Man stelle sich vor, die Welt würde von einem bösen Dämon regiert. Dieser ist in der Lage Täuschungen zu erzeugen. In so einer Welt könnte man sich nicht sicher sein, ob vor einem tatsächlich ein Glas steht, oder ob das nicht nur eine Täuschung ist. Alles könnte eine Täuschung sein - sogar der eigene Körper! René Descartes geht es nicht darum, radikalen Skeptizismus zu propagieren. Er fragt sich, worüber könnten sich die Menschen in dieser vom Dämon regierten Welt gewiss sein, wo doch alles eine Illusion sein könnte.
Die logische Schlussfolgerung: Darüber, dass sie existieren, und zwar als "denkendes Ding". Denn jede Täuschung bedarf eines Trägers. Der Dämon kann alles herbeitäuschen, aber unmöglich könnte er den Menschen darüber täuschen, dass dieser als Geist existiert. Ohne Träger keine Täuschung. Der Körper kann eine Illusion sein, der Geist nicht.

Das Leibnizsche Identitätsprinzip

In Voraussicht auf Teil 2, wo wir uns mit Einwänden gegen diese Schlussfolgerung beschäftigen werden, lohnt es sich, die Grundlage dieser Argumentation genauer anzuschauen - das Leibnizsche Identitätsprinzip:

"Zwei Dinge A und B sind dann miteinander identisch, wenn sie über dieselben Eigenschaften verfügen."

René Descartes wendet dieses Prinzip an, und zieht daraus einige Schlussfolgerungen. Schauen wir uns einige davon an:

- Den Körper kann man sich nur "als etwas ausgedehntes" vorstellen. 
Sprich: Der Körper benötigt Raum. Den Geist kann man sich auch als etwas vorstellen, das keinen Raum benötigt. -> Körper und Geist haben verschiedene Eigenschaften (räumlich-nichträumlich) und sind daher nicht identisch, sind daher verschiedene Substanzen.

- Den Körper kann man sich "in Teilen" vorstellen, den Geist nicht. 
Man kann zB nur an seine linke Hand denken. Den Geist kann man sich nicht in Teilen vorstellen. -> verschiedene Eigenschaften -> nicht identisch -> verschiedene Substanzen.

- Die Existenz des eigenen Körpers kann man anzweifeln. Die Existenz des eigenen Geistes nicht.
Letzteres ist unvorstellbar. In dem Moment, wo ich meinen Geist anzweifle, bewahrheitet sich dessen Existenz. (Siehe Gedankenexperiment. René Descartes sagt also auch: "Ich zweifle, also bin ich" (wenigstens als denkendes Ding)). Der Körper hat also die Eigenschaft von seinem Eigentümer angezweifelt werden zu können. Der Geist hat diese Eigenschaft nicht. -> verschiedene Eigenschaften -> nicht identisch ->verschiedene Substanzen.

René Descartes ist also ein Dualist. Durch Anwendung der Vernunft (die Empirie kann uns keine Gewissheit liefern) kommen wir zu dem Ergebnis, dass Körper und Geist zwei voneinander verschiedene Substanzen sein müssen.

Montag, 8. Juli 2013

Paradoxe Sympathien



In diesem Beitrag gehe ich der Frage nach, ob es konsequent ist, ein naturwissenschaftliches, aufgeklärtes Weltbild zu vertreten und gleichzeitig Sympathien für die „Heiden“ zu hegen, während man monotheistische Religionen, wie das Christentum, ablehnt.
Es gibt eine große Menge an Kritikpunkten gegen monotheistische Offenbarungsreligionen, welche heute gewissermaßen zu ideologischen Standardstandpunkten des Bürgertums gehören. Standpunkte also, mit denen man seine ideologische Zugehörigkeit zum „aufgeklärten, liberalen, toleranten Bildungsbürgertum“ kundtun kann. Es handelt sich dabei um Phrasen, die weniger als Diskussionsbeiträge gemeint sind, sondern eher als Meme, oder Erkennungscodes dienen, mit denen man ausdrückt eben jener toleranten Gesinnungsgemeinschaft anzugehören, in der niemand dem anderen irgendetwas vorschreibt und jeder alles tun darf, solange er den anderen nicht schädigt, ihm seinen Willen aufzwingt, oder gar behauptet seine Weltanschauung sei die bessere.
Einer dieser Erkennungscodes lautet etwa: „Der Polytheismus war viel besser, weil er viel toleranter war, als der Monotheismus.“  
In gewisser Hinsicht ist das nicht unrichtig. Wobei man sich überlegen könnte, wie tolerant es in der antiken Polis wirklich zuging, man denke nur an die Stellung der Frauen und Sklaven oder an die überheblichen Theoreme des Aristoteles über die „Barbaren“.
Doch wenn man die Phrase reduziert auf die bloße Frage der Toleranz anderen Kulten gegenüber, dann ist die Antwort so eindeutig, wie trivial.
Die übliche Argumentation würde sich in etwa auf folgendes stützen: Im Polytheismus der Heiden gab es viele Götter, es gab viele Kulte, Fremde durften ihre Kulte ohne weiteres ausüben, es herrschte religiöse Toleranz (abgesehen von Ausnahmen, wie dem Verbot des Dionysoskultes, welcher allerdings nicht aus religiöser Intoleranz, sondern aus sicherheitspolitischen Gründen verboten wurde).
Und daher war der Polytheismus viel besser als der Monotheismus, denn im Monotheismus gab es Verfolgung, Inquisition, Kreuzzüge, usw.


Mythos und Aufklärung

Wagen wir nun einen Exkurs zu einem der bedeutendsten philosophischen Werke des 20. Jahrhunderts, der „Bibel der 68er“, Max Horkheimers und Theodor Adornos Polemik „Dialektik der Aufklärung“. Hier wird eine negative Geschichtsteleogie entworfen (was nach Historismus und Posthistoire eigentlich ein zweifelhaftes Unterfangen ist), in der versucht wird, die totalitären Regime des 20. Jahrhunderts ideengeschichtlich zu erklären. Die Grundthese lautet, dass diese Regime ja nicht aus einem fernen Land kamen, sondern sich hier, und eben nur hier entwickelten, und dass diese Regime nicht etwa „Rückfälle“ waren, sondern die Konsequenz der Aufklärung, die dunkle Seite der Aufklärung. Doch für diesen zweifellos spannenden Punkt wollen wir uns hier nicht interessieren, sondern für einen anderen.

Wissenschaft und Magie

Eine These in der „Dialektik der Aufklärung“ kann man in etwa folgendermaßen beschreiben: Auch der Mythos ist eine Form von Aufklärung. Denn wie die Aufklärung, will der Mythos erklären. Er will, wie die Aufklärung, Ordnung schaffen, Strukturen schaffen, mit Hilfe derer man die Welt verstehen kann. Zauberei ist von ihrer Intention her nichts anderes als Naturwissenschaft. Denn sowohl Zauberei, als auch Naturwissenschaft zielen darauf ab, die Welt zu beherrschen, Gegenstände zu manipulieren, um sie für sich nutzen zu können, um damit die Umwelt und Mitmenschen zu beherrschen.
Was heißt das? Der Mythos schafft Ordnung, er erklärt, warum die Welt so ist, wie sie ist. Nichts anderes will die Naturwissenschaft. Magische Handlungen wollen die Welt für menschliche Zwecke manipulieren. Opfer stimmen die Götter gnädig, damit die Ernte gut ausfällt, die Segnung der Waffen soll diese effektiver gegen den Feind machen. Keine andere Intention hat die Naturwissenschaft. Gentechnik soll die Erträge der Ernte verbessern, Computerprogramme errechnen, wie man ein Gewehr zielgenauer konstruieren kann.
Natürlich wissen wir heute, dass magische Handlungen im naturwissenschaftlichen Sinn nicht funktionieren. Aber man sollte nicht den überheblichen Fehler machen, und glauben, die Menschen früherer Zeiten wären einfach dumm gewesen, weil sie geglaubt haben, dass ihre Magie tatsächlich funktioniert. Es ist eben nicht so, dass diesen Menschen einfach die Vernunft gefehlt hätte. Vernunft ist die grundlegende Fähigkeit des Menschen, er muss sie nicht erst erlangen, er hat sie von Natur aus, und konstruiert sich mit ihrer Hilfe die Welt, in der er lebt. Natürlich haben wir heute unsere Vernunft verfeinert, aber die Weltbilder früherer Zeiten waren keineswegs unvernünftig. Für die Menschen damals haben diese Weltbilder funktioniert, sie waren für damalige Verhältnisse vernünftig. Sie brachten Ordnung in das Chaos. Das ist die Grundaufgabe der Vernunft.

Odysseus als Aufklärer

In Homers Odyssee, so Horkheimer und Adorno, können wir einen Wandel beobachten, vom mythischen Weltbild hin zu den olympischen Göttern. Odysseus tut die ganze Zeit nichts anderes, als die alten Mythen zu entzaubern, zu überlisten. Er entdeckt die Differenz zwischen Zeichen und Bezeichnetem, und in dieser Differenz verfeinert er seine Vernunft, und wirkt als Aufklärer gegen die alten Mythen. „Niemand kann den Lockungen der Sirenen widerstehen“, so heißt das Naturgesetz der mythischen Weltanschauung. Doch Odysseus entdeckt eine Differenz: Dieses „Naturgesetz“ sagt nichts darüber aus, dass es verboten wäre, an den Sirenen vorbeizufahren, während man an den Mast gefesselt ist. Odysseus erkennt also eine Möglichkeit, das „Naturgesetz“ für sich nutzbar zu machen. Nichts anderes tun Wissenschaftler.
An die Stelle der alten Mythen, in denen Felsen, Bäume, Quellen individuell von Geistern beseelt sind, tritt das plausiblere Weltbild der olympischen Götter. Helios ist nicht die Sonne, er lenkt sie lediglich. Eine Abstraktion hat stattgefunden. In der Welt geht es insofern mit rechten Dingen zu, als nicht mehr individuelle Geister einzelne Orte und Gegenstände beseelen. Götter, die außerhalb dieser Orte zu finden sind, wirken auf Orte und Gegenstände. Aber: Immer noch ist es nichts ungewöhnliches, wenn die Götter ganz direkt in der Welt in Erscheinung treten. Das ändert sich erst mit dem Monotheismus.

Warum wir ein Wunder brauchen

Eine weitere Abstraktionsstufe findet nun meines Erachtens nach statt, wenn der Monotheismus erfunden wird. Im Christentum ist die Welt schließlich „ganz sich selbst überlassen“. Denn wie Slavoj Zizek scharfsinniger Weise erkannt hat: So gut wie gar nicht tritt im Christentum Gott selbst in Erscheinung. Wenn Gott etwas zu sagen hat, dann schickt er seine Stellvertreter, also Jesus, den heiligen Geist, oder irgendwelche Engel. Der heilige Geist kann auf die Welt nicht einwirken, er kann lediglich Botschaften überbringen. Selbst Jesus, immerhin der Sohn Gottes, hat nicht mehr Macht als irgendein anderer Mensch. Deswegen ist es nach seinem Tod an den Menschen, seine Mission fortzuführen.
Was ist hier geschehen? Meiner Meinung nach erkennen wir hier eine weitere Stufe hin zur Abstraktion. Der christliche Gott kann nicht mehr, so wie einst Zeus, die Gestalt etwa eines Stieres annehmen, und auf Erden wandeln. Der christliche Gott ist völlig aus der materiellen Welt verbannt (das erklärt die Vorliebe der Katholiken für Platons Idealismus!). Und das ist auch der Grund, aus dem sich ein Augustinus mit der Frage auseinandersetzen muss, was vor der Schöpfung war. Solche Fragen lassen sich erst stellen, wenn man Gott gänzlich außerhalb der materiellen Welt ansiedelt. Und solche Fragen stellen sich heute auch die Naturwissenschaftler, in abgewandelter Form, wenn sie fragen, was vor dem Urknall war.
In der christlichen Welt geht es nun gänzlich mit rechten Dingen zu. Alles, was hier geschieht ist logisch erklärbar, weil eben keine Götter, Kobolde oder Geister ihr Unwesen treiben. Und wenn doch mal etwas passiert, was nicht erklärbar ist, dann muss es sich um ein Wunder handeln. Also um etwas, das den logischen Gesetzen dieser Welt ausnahmsweise widerspricht.

Zurück zum Ausgangspunkt

An dieser Stelle stellt sich jetzt die Frage, wie es für einen angeblich aufgeklärten Menschen dann überhaupt möglich sein soll, den Polytheismus gut zu heißen. Der Polytheismus wäre wesentlich irrationaler als der Monotheismus, weil er annimmt, die Götter hätten die Macht auf der Erde zu wandeln. Auch der Pantheismus müsste dem Aufgeklärten unglaubwürdiger erscheinen, als der Monotheismus. Denn der Pantheismus siedelt Gott radikal in der materiellen Welt an, wie kein anderer –theismus. Erst der Monotheismus (jedenfalls das Christentum, über andere Religionen spreche ich hier nicht, da ich sie nicht genug kenne) „verbannt“ Gott völlig aus der materiellen Welt, und macht ein Weltbild möglich, in dem es voll und ganz vernünftig und rechten Dingen zugeht.