In diesem Beitrag
gehe ich der Frage nach, ob es konsequent ist, ein naturwissenschaftliches,
aufgeklärtes Weltbild zu vertreten und gleichzeitig Sympathien für die „Heiden“
zu hegen, während man monotheistische Religionen, wie das Christentum, ablehnt.
Es gibt eine große
Menge an Kritikpunkten gegen monotheistische Offenbarungsreligionen, welche
heute gewissermaßen zu ideologischen Standardstandpunkten des Bürgertums
gehören. Standpunkte also, mit denen man seine ideologische Zugehörigkeit zum „aufgeklärten,
liberalen, toleranten Bildungsbürgertum“ kundtun kann. Es handelt sich dabei um
Phrasen, die weniger als Diskussionsbeiträge gemeint sind, sondern eher als
Meme, oder Erkennungscodes dienen, mit denen man ausdrückt eben jener
toleranten Gesinnungsgemeinschaft anzugehören, in der niemand dem anderen
irgendetwas vorschreibt und jeder alles tun darf, solange er den anderen nicht
schädigt, ihm seinen Willen aufzwingt, oder gar behauptet seine Weltanschauung
sei die bessere.
Einer dieser
Erkennungscodes lautet etwa: „Der Polytheismus war viel besser, weil er viel toleranter
war, als der Monotheismus.“
In gewisser
Hinsicht ist das nicht unrichtig. Wobei man sich überlegen könnte, wie tolerant
es in der antiken Polis wirklich zuging,
man denke nur an die Stellung der Frauen und Sklaven oder an die überheblichen Theoreme
des Aristoteles über die „Barbaren“.
Doch wenn man die
Phrase reduziert auf die bloße Frage der Toleranz anderen Kulten gegenüber,
dann ist die Antwort so eindeutig, wie trivial.
Die übliche
Argumentation würde sich in etwa auf folgendes stützen: Im Polytheismus der
Heiden gab es viele Götter, es gab viele Kulte, Fremde durften ihre Kulte ohne
weiteres ausüben, es herrschte religiöse Toleranz (abgesehen von Ausnahmen, wie
dem Verbot des Dionysoskultes, welcher allerdings nicht aus religiöser
Intoleranz, sondern aus sicherheitspolitischen Gründen verboten wurde).
Und daher war der
Polytheismus viel besser als der Monotheismus, denn im Monotheismus gab es
Verfolgung, Inquisition, Kreuzzüge, usw.
Mythos und Aufklärung
Wagen wir nun
einen Exkurs zu einem der bedeutendsten philosophischen Werke des 20.
Jahrhunderts, der „Bibel der 68er“, Max Horkheimers und Theodor Adornos Polemik
„Dialektik der Aufklärung“. Hier wird eine negative Geschichtsteleogie
entworfen (was nach Historismus und Posthistoire eigentlich ein zweifelhaftes
Unterfangen ist), in der versucht wird, die totalitären Regime des 20. Jahrhunderts
ideengeschichtlich zu erklären. Die Grundthese lautet, dass diese Regime ja
nicht aus einem fernen Land kamen, sondern sich hier, und eben nur hier
entwickelten, und dass diese Regime nicht etwa „Rückfälle“ waren, sondern die
Konsequenz der Aufklärung, die dunkle Seite der Aufklärung. Doch für diesen
zweifellos spannenden Punkt wollen wir uns hier nicht interessieren, sondern
für einen anderen.
Wissenschaft und
Magie
Eine These in der
„Dialektik der Aufklärung“ kann man in etwa folgendermaßen beschreiben: Auch
der Mythos ist eine Form von Aufklärung. Denn wie die Aufklärung, will der
Mythos erklären. Er will, wie die Aufklärung, Ordnung schaffen, Strukturen
schaffen, mit Hilfe derer man die Welt verstehen kann. Zauberei ist von ihrer
Intention her nichts anderes als Naturwissenschaft. Denn sowohl Zauberei, als
auch Naturwissenschaft zielen darauf ab, die Welt zu beherrschen, Gegenstände
zu manipulieren, um sie für sich nutzen zu können, um damit die Umwelt und
Mitmenschen zu beherrschen.
Was heißt das?
Der Mythos schafft Ordnung, er erklärt, warum die Welt so ist, wie sie ist.
Nichts anderes will die Naturwissenschaft. Magische Handlungen wollen die Welt
für menschliche Zwecke manipulieren. Opfer stimmen die Götter gnädig, damit die
Ernte gut ausfällt, die Segnung der Waffen soll diese effektiver gegen den
Feind machen. Keine andere Intention hat die Naturwissenschaft. Gentechnik soll
die Erträge der Ernte verbessern, Computerprogramme errechnen, wie man ein
Gewehr zielgenauer konstruieren kann.
Natürlich wissen
wir heute, dass magische Handlungen im naturwissenschaftlichen Sinn nicht
funktionieren. Aber man sollte nicht den überheblichen Fehler machen, und
glauben, die Menschen früherer Zeiten wären einfach dumm gewesen, weil sie geglaubt
haben, dass ihre Magie tatsächlich funktioniert. Es ist eben nicht so, dass
diesen Menschen einfach die Vernunft gefehlt hätte. Vernunft ist die
grundlegende Fähigkeit des Menschen, er muss sie nicht erst erlangen, er hat
sie von Natur aus, und konstruiert sich mit ihrer Hilfe die Welt, in der er
lebt. Natürlich haben wir heute unsere Vernunft verfeinert, aber die Weltbilder
früherer Zeiten waren keineswegs unvernünftig. Für die Menschen damals haben
diese Weltbilder funktioniert, sie waren für damalige Verhältnisse vernünftig.
Sie brachten Ordnung in das Chaos. Das ist die Grundaufgabe der Vernunft.
Odysseus als
Aufklärer
In Homers
Odyssee, so Horkheimer und Adorno, können wir einen Wandel beobachten, vom
mythischen Weltbild hin zu den olympischen Göttern. Odysseus tut die ganze Zeit
nichts anderes, als die alten Mythen zu entzaubern, zu überlisten. Er entdeckt
die Differenz zwischen Zeichen und Bezeichnetem, und in dieser Differenz
verfeinert er seine Vernunft, und wirkt als Aufklärer gegen die alten Mythen. „Niemand
kann den Lockungen der Sirenen widerstehen“, so heißt das Naturgesetz der
mythischen Weltanschauung. Doch Odysseus entdeckt eine Differenz: Dieses „Naturgesetz“
sagt nichts darüber aus, dass es verboten wäre, an den Sirenen vorbeizufahren,
während man an den Mast gefesselt ist. Odysseus erkennt also eine Möglichkeit,
das „Naturgesetz“ für sich nutzbar zu machen. Nichts anderes tun Wissenschaftler.
An die Stelle der
alten Mythen, in denen Felsen, Bäume, Quellen individuell von Geistern beseelt
sind, tritt das plausiblere Weltbild der olympischen Götter. Helios ist nicht die Sonne, er lenkt sie
lediglich. Eine Abstraktion hat stattgefunden. In der Welt geht es insofern mit
rechten Dingen zu, als nicht mehr individuelle Geister einzelne Orte und
Gegenstände beseelen. Götter, die außerhalb dieser Orte zu finden sind, wirken
auf Orte und Gegenstände. Aber: Immer noch ist es nichts ungewöhnliches, wenn
die Götter ganz direkt in der Welt in Erscheinung treten. Das ändert sich erst
mit dem Monotheismus.
Warum wir ein
Wunder brauchen
Eine weitere
Abstraktionsstufe findet nun meines Erachtens nach statt, wenn der Monotheismus
erfunden wird. Im Christentum ist die Welt schließlich „ganz sich selbst
überlassen“. Denn wie Slavoj Zizek scharfsinniger Weise erkannt hat: So gut wie
gar nicht tritt im Christentum Gott selbst in Erscheinung. Wenn Gott etwas zu
sagen hat, dann schickt er seine Stellvertreter, also Jesus, den heiligen
Geist, oder irgendwelche Engel. Der heilige Geist kann auf die Welt nicht
einwirken, er kann lediglich Botschaften überbringen. Selbst Jesus, immerhin
der Sohn Gottes, hat nicht mehr Macht als irgendein anderer Mensch. Deswegen
ist es nach seinem Tod an den Menschen, seine Mission fortzuführen.
Was ist hier
geschehen? Meiner Meinung nach erkennen wir hier eine weitere Stufe hin zur
Abstraktion. Der christliche Gott kann nicht mehr, so wie einst Zeus, die Gestalt
etwa eines Stieres annehmen, und auf Erden wandeln. Der christliche Gott ist
völlig aus der materiellen Welt verbannt (das erklärt die Vorliebe der Katholiken für Platons Idealismus!). Und das ist auch der Grund, aus dem
sich ein Augustinus mit der Frage auseinandersetzen muss, was vor der Schöpfung
war. Solche Fragen lassen sich erst stellen, wenn man Gott gänzlich außerhalb
der materiellen Welt ansiedelt. Und solche Fragen stellen sich heute auch die
Naturwissenschaftler, in abgewandelter Form, wenn sie fragen, was vor dem
Urknall war.
In der
christlichen Welt geht es nun gänzlich mit rechten Dingen zu. Alles, was hier
geschieht ist logisch erklärbar, weil eben keine Götter, Kobolde oder Geister
ihr Unwesen treiben. Und wenn doch mal etwas passiert, was nicht erklärbar ist,
dann muss es sich um ein Wunder handeln. Also um etwas, das den logischen
Gesetzen dieser Welt ausnahmsweise widerspricht.
Zurück zum
Ausgangspunkt
An dieser Stelle
stellt sich jetzt die Frage, wie es für einen angeblich aufgeklärten Menschen
dann überhaupt möglich sein soll, den Polytheismus gut zu heißen. Der
Polytheismus wäre wesentlich irrationaler als der Monotheismus, weil er
annimmt, die Götter hätten die Macht auf der Erde zu wandeln. Auch der
Pantheismus müsste dem Aufgeklärten unglaubwürdiger erscheinen, als der
Monotheismus. Denn der Pantheismus siedelt Gott radikal in der materiellen Welt
an, wie kein anderer –theismus. Erst der Monotheismus (jedenfalls das
Christentum, über andere Religionen spreche ich hier nicht, da ich sie nicht
genug kenne) „verbannt“ Gott völlig aus der materiellen Welt, und macht ein
Weltbild möglich, in dem es voll und ganz vernünftig und rechten Dingen zugeht.