Montag, 8. Juli 2013

Paradoxe Sympathien



In diesem Beitrag gehe ich der Frage nach, ob es konsequent ist, ein naturwissenschaftliches, aufgeklärtes Weltbild zu vertreten und gleichzeitig Sympathien für die „Heiden“ zu hegen, während man monotheistische Religionen, wie das Christentum, ablehnt.
Es gibt eine große Menge an Kritikpunkten gegen monotheistische Offenbarungsreligionen, welche heute gewissermaßen zu ideologischen Standardstandpunkten des Bürgertums gehören. Standpunkte also, mit denen man seine ideologische Zugehörigkeit zum „aufgeklärten, liberalen, toleranten Bildungsbürgertum“ kundtun kann. Es handelt sich dabei um Phrasen, die weniger als Diskussionsbeiträge gemeint sind, sondern eher als Meme, oder Erkennungscodes dienen, mit denen man ausdrückt eben jener toleranten Gesinnungsgemeinschaft anzugehören, in der niemand dem anderen irgendetwas vorschreibt und jeder alles tun darf, solange er den anderen nicht schädigt, ihm seinen Willen aufzwingt, oder gar behauptet seine Weltanschauung sei die bessere.
Einer dieser Erkennungscodes lautet etwa: „Der Polytheismus war viel besser, weil er viel toleranter war, als der Monotheismus.“  
In gewisser Hinsicht ist das nicht unrichtig. Wobei man sich überlegen könnte, wie tolerant es in der antiken Polis wirklich zuging, man denke nur an die Stellung der Frauen und Sklaven oder an die überheblichen Theoreme des Aristoteles über die „Barbaren“.
Doch wenn man die Phrase reduziert auf die bloße Frage der Toleranz anderen Kulten gegenüber, dann ist die Antwort so eindeutig, wie trivial.
Die übliche Argumentation würde sich in etwa auf folgendes stützen: Im Polytheismus der Heiden gab es viele Götter, es gab viele Kulte, Fremde durften ihre Kulte ohne weiteres ausüben, es herrschte religiöse Toleranz (abgesehen von Ausnahmen, wie dem Verbot des Dionysoskultes, welcher allerdings nicht aus religiöser Intoleranz, sondern aus sicherheitspolitischen Gründen verboten wurde).
Und daher war der Polytheismus viel besser als der Monotheismus, denn im Monotheismus gab es Verfolgung, Inquisition, Kreuzzüge, usw.


Mythos und Aufklärung

Wagen wir nun einen Exkurs zu einem der bedeutendsten philosophischen Werke des 20. Jahrhunderts, der „Bibel der 68er“, Max Horkheimers und Theodor Adornos Polemik „Dialektik der Aufklärung“. Hier wird eine negative Geschichtsteleogie entworfen (was nach Historismus und Posthistoire eigentlich ein zweifelhaftes Unterfangen ist), in der versucht wird, die totalitären Regime des 20. Jahrhunderts ideengeschichtlich zu erklären. Die Grundthese lautet, dass diese Regime ja nicht aus einem fernen Land kamen, sondern sich hier, und eben nur hier entwickelten, und dass diese Regime nicht etwa „Rückfälle“ waren, sondern die Konsequenz der Aufklärung, die dunkle Seite der Aufklärung. Doch für diesen zweifellos spannenden Punkt wollen wir uns hier nicht interessieren, sondern für einen anderen.

Wissenschaft und Magie

Eine These in der „Dialektik der Aufklärung“ kann man in etwa folgendermaßen beschreiben: Auch der Mythos ist eine Form von Aufklärung. Denn wie die Aufklärung, will der Mythos erklären. Er will, wie die Aufklärung, Ordnung schaffen, Strukturen schaffen, mit Hilfe derer man die Welt verstehen kann. Zauberei ist von ihrer Intention her nichts anderes als Naturwissenschaft. Denn sowohl Zauberei, als auch Naturwissenschaft zielen darauf ab, die Welt zu beherrschen, Gegenstände zu manipulieren, um sie für sich nutzen zu können, um damit die Umwelt und Mitmenschen zu beherrschen.
Was heißt das? Der Mythos schafft Ordnung, er erklärt, warum die Welt so ist, wie sie ist. Nichts anderes will die Naturwissenschaft. Magische Handlungen wollen die Welt für menschliche Zwecke manipulieren. Opfer stimmen die Götter gnädig, damit die Ernte gut ausfällt, die Segnung der Waffen soll diese effektiver gegen den Feind machen. Keine andere Intention hat die Naturwissenschaft. Gentechnik soll die Erträge der Ernte verbessern, Computerprogramme errechnen, wie man ein Gewehr zielgenauer konstruieren kann.
Natürlich wissen wir heute, dass magische Handlungen im naturwissenschaftlichen Sinn nicht funktionieren. Aber man sollte nicht den überheblichen Fehler machen, und glauben, die Menschen früherer Zeiten wären einfach dumm gewesen, weil sie geglaubt haben, dass ihre Magie tatsächlich funktioniert. Es ist eben nicht so, dass diesen Menschen einfach die Vernunft gefehlt hätte. Vernunft ist die grundlegende Fähigkeit des Menschen, er muss sie nicht erst erlangen, er hat sie von Natur aus, und konstruiert sich mit ihrer Hilfe die Welt, in der er lebt. Natürlich haben wir heute unsere Vernunft verfeinert, aber die Weltbilder früherer Zeiten waren keineswegs unvernünftig. Für die Menschen damals haben diese Weltbilder funktioniert, sie waren für damalige Verhältnisse vernünftig. Sie brachten Ordnung in das Chaos. Das ist die Grundaufgabe der Vernunft.

Odysseus als Aufklärer

In Homers Odyssee, so Horkheimer und Adorno, können wir einen Wandel beobachten, vom mythischen Weltbild hin zu den olympischen Göttern. Odysseus tut die ganze Zeit nichts anderes, als die alten Mythen zu entzaubern, zu überlisten. Er entdeckt die Differenz zwischen Zeichen und Bezeichnetem, und in dieser Differenz verfeinert er seine Vernunft, und wirkt als Aufklärer gegen die alten Mythen. „Niemand kann den Lockungen der Sirenen widerstehen“, so heißt das Naturgesetz der mythischen Weltanschauung. Doch Odysseus entdeckt eine Differenz: Dieses „Naturgesetz“ sagt nichts darüber aus, dass es verboten wäre, an den Sirenen vorbeizufahren, während man an den Mast gefesselt ist. Odysseus erkennt also eine Möglichkeit, das „Naturgesetz“ für sich nutzbar zu machen. Nichts anderes tun Wissenschaftler.
An die Stelle der alten Mythen, in denen Felsen, Bäume, Quellen individuell von Geistern beseelt sind, tritt das plausiblere Weltbild der olympischen Götter. Helios ist nicht die Sonne, er lenkt sie lediglich. Eine Abstraktion hat stattgefunden. In der Welt geht es insofern mit rechten Dingen zu, als nicht mehr individuelle Geister einzelne Orte und Gegenstände beseelen. Götter, die außerhalb dieser Orte zu finden sind, wirken auf Orte und Gegenstände. Aber: Immer noch ist es nichts ungewöhnliches, wenn die Götter ganz direkt in der Welt in Erscheinung treten. Das ändert sich erst mit dem Monotheismus.

Warum wir ein Wunder brauchen

Eine weitere Abstraktionsstufe findet nun meines Erachtens nach statt, wenn der Monotheismus erfunden wird. Im Christentum ist die Welt schließlich „ganz sich selbst überlassen“. Denn wie Slavoj Zizek scharfsinniger Weise erkannt hat: So gut wie gar nicht tritt im Christentum Gott selbst in Erscheinung. Wenn Gott etwas zu sagen hat, dann schickt er seine Stellvertreter, also Jesus, den heiligen Geist, oder irgendwelche Engel. Der heilige Geist kann auf die Welt nicht einwirken, er kann lediglich Botschaften überbringen. Selbst Jesus, immerhin der Sohn Gottes, hat nicht mehr Macht als irgendein anderer Mensch. Deswegen ist es nach seinem Tod an den Menschen, seine Mission fortzuführen.
Was ist hier geschehen? Meiner Meinung nach erkennen wir hier eine weitere Stufe hin zur Abstraktion. Der christliche Gott kann nicht mehr, so wie einst Zeus, die Gestalt etwa eines Stieres annehmen, und auf Erden wandeln. Der christliche Gott ist völlig aus der materiellen Welt verbannt (das erklärt die Vorliebe der Katholiken für Platons Idealismus!). Und das ist auch der Grund, aus dem sich ein Augustinus mit der Frage auseinandersetzen muss, was vor der Schöpfung war. Solche Fragen lassen sich erst stellen, wenn man Gott gänzlich außerhalb der materiellen Welt ansiedelt. Und solche Fragen stellen sich heute auch die Naturwissenschaftler, in abgewandelter Form, wenn sie fragen, was vor dem Urknall war.
In der christlichen Welt geht es nun gänzlich mit rechten Dingen zu. Alles, was hier geschieht ist logisch erklärbar, weil eben keine Götter, Kobolde oder Geister ihr Unwesen treiben. Und wenn doch mal etwas passiert, was nicht erklärbar ist, dann muss es sich um ein Wunder handeln. Also um etwas, das den logischen Gesetzen dieser Welt ausnahmsweise widerspricht.

Zurück zum Ausgangspunkt

An dieser Stelle stellt sich jetzt die Frage, wie es für einen angeblich aufgeklärten Menschen dann überhaupt möglich sein soll, den Polytheismus gut zu heißen. Der Polytheismus wäre wesentlich irrationaler als der Monotheismus, weil er annimmt, die Götter hätten die Macht auf der Erde zu wandeln. Auch der Pantheismus müsste dem Aufgeklärten unglaubwürdiger erscheinen, als der Monotheismus. Denn der Pantheismus siedelt Gott radikal in der materiellen Welt an, wie kein anderer –theismus. Erst der Monotheismus (jedenfalls das Christentum, über andere Religionen spreche ich hier nicht, da ich sie nicht genug kenne) „verbannt“ Gott völlig aus der materiellen Welt, und macht ein Weltbild möglich, in dem es voll und ganz vernünftig und rechten Dingen zugeht.

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