Nietzsche war kein akademischer Philosoph. Vor allem
Nietzsches spätere Werke sind nicht eindeutig im Bereich der Philosophie zu
lokalisieren, sondern in einem Graubereich zwischen Philosophie und Literatur (also
Kunst). Es bleibt bei oft oberflächlichen Andeutungen, die nicht ausformuliert
werden, denen dafür mit einer umso gigantischeren Sprache Eindruck verliehen
wird. Nietzsche ist meines Erachtens nach neben Goethe der größte Sprachkünstler des Deutschen. Das
Wirken aus einem Graubereich heraus ist von Nietzsche zum Teil gewollt, wie
sich etwa in „Jenseits von Gut und Böse“ zeigt, wo er versucht auf knapp 25
Seiten die gesamte bisherige europäische Philosophie zu verwerfen:
„Allmählich hat
sich mir herausgestellt, was jede grosse Philosophie bisher war: nämlich das
Selbsterkenntnis ihres Urhebers und eine Art ungewollter und unvermerkter
mémoires“
Jede bisherige Philosophie sei ein Zurechtbiegen der
Natur gewesen. Über die Stoa meint Nietzsche etwa:
„[…]ihr verlangt,
dass sie [die Natur] „der Stoa gemäß“
Natur sei“
Der Mangel der Philosophie sei ihre Glaube an eine „Wahrheit
an sich“:
„[…] die Kantische
Frage „wie sind synthetische Urtheile a priori möglich?“ durch eine andere
Frage zu ersetzen „warum ist der Glaube an solche Urtheile nöthig?““
Doch auch die Naturwissenschaften kommen nicht
ungeschoren davon:
„Es dämmert jetzt
vielleicht in fünf, sechs Köpfen, dass Physik auch nur eine Weltauslegung und
–Zurechtlegung und nicht eine Welt-Erklärung ist“
Erklärt sich die Leitstellung der Naturwissenschaften (heute
noch) also aus dem „ewig volkstümlichen
Sensualismus“?
Ausnahmsweise findet Nietzsche auch für Platon löbliche
Worte. Seine Ideenlehre sei „vornehm“,
da sie dem „plebejischen Grundgeschmack“ -dem Empirismus- widerstehe.) Aber ist Nietzsche hier nicht auch ein Vordenker des
Konstruktivismus (konsequenter gar als Vico, Berkeley, Locke oder Kant?), wenn er sagt,
Naturgesetze werden in die Welt nur hineininterpretiert, seien aber keine
Gesetze der Welt an sich? Doch, und hier wird Nietzsche zum Literaten, anstatt
diesen Gedanken konsequent zu Ende zu denken, denkt er ihn in andere,
poetischere Richtungen.
Nietzsche als Vordenker des Konstruktivismus zu sehen,
wäre zu viel der Ehre. Die bloße Behauptung, dass Naturgesetze in die Welt
hineininterpretiert werden, ist noch kein Gegenentwurf oder gar eine fundierte
theoretische Einsicht.
Blendet man Nietzsches Sprachgewalt aus, bleibt eine
Einsicht übrig, die sich auch auf Grundlage des volkstümlichen Skeptizismus treffen
ließe.
Was trägt Nietzsche nun zur Diskussion um das descartsche
Gedankenexperiment bei? Eine fundamentale Kritik:
„Was den
Aberglauben der Logiker betrifft: so will ich nicht müde werden, eine kleine
kurze Tatsache immer wieder zu unterstreichen, welche von diesen
Abergläubischen ungern zugestanden wird – nämlich, daß ein Gedanke kommt, wenn
»er« will, und nicht wenn »ich« will; so daß es eine Fälschung des Tatbestandes
ist zu sagen: das Subjekt »ich« ist die Bedingung des Prädikats »denke«. Es
denkt: aber daß dies »es« gerade jenes alte berühmte »Ich« sei, ist, milde
geredet, nur eine Annahme, eine Behauptung, vor allem keine »unmittelbare
Gewißheit«. Zuletzt ist schon mit diesem »es denkt« zuviel getan: schon dies
»es« enthält eine Auslegung des Vorgangs und gehört nicht zum Vorgange selbst.
Man schließt hier nach der grammatischen Gewohnheit »Denken ist eine Tätigkeit,
zu jeder Tätigkeit gehört einer, der tätig ist, folglich –«. Ungefähr nach dem
gleichen Schema suchte die ältere Atomistik zu der »Kraft«, die wirkt, noch
jenes Klümpchen Materie, worin sie sitzt, aus der heraus sie wirkt, das Atom;
strengere Köpfe lernten endlich ohne diesen »Erdenrest« auskommen, und
vielleicht gewöhnt man sich eines Tages noch daran, auch seitens der Logiker
ohne jenes kleine »es« (zu dem sich das ehrliche alte Ich verflüchtigt hat)
auszukommen.“
Nietzsches Beitrag zu Dualismus versus Monismus ist also
durchaus methodisch. Er begegnet der Frage nach Körper und Geist mit einem
sprachphilosophischen Ansatz. Freilich ohne ins Detail zu gehen.
Wahrscheinlich erinnert er sich hier an seine frühere
Schrift „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne“.
Friedrich Nietzsche war gewiss ein großer Geist, ein
Meister der deutschen Sprache. Doch obwohl sein außergewöhnliches Denken
zweifellos interessant ist: Ich denke, man muss vorsichtig sein, ihn als Propheten
zu betrachten. Als Propheten der Dialektik der Aufklärung, als Propheten der
Psychoanalyse, als Propheten der Dekonstruktion, des Existenzialismus, etc..
Nietzsche wirft Fragen auf, ohne sich mit ihnen wirklich
auseinandersetzen zu wollen (!) und zu können. Das ist seiner „Methode“
geschuldet.
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