Montag, 20. Januar 2014

Rauchverbote oder: warum es um mehr geht, als ums Rauchen



Rauchverbote dienen, so heißt es, dem Gesundheitsschutz. Der Staat denkt dabei nicht nur an die Gesundheit der Nichtraucher, sondern auch an die der Raucher. Ist das nicht eigentlich eine feine Sache? Jahrhundertelang hat sich der Staat überhaupt nicht für die Gesundheit der Menschen interessiert. Stattdessen hat er seine Bevölkerung in sinnlosen Kriegen sterben lassen. Und wenn der Krieg zu Ende war, durften sie nach Hause gehen und sich auf Feldern und in Fabriken ausbeuten lassen. Wer nicht im Krieg starb, der starb in der Fabrik oder der Kohlegrube.

Doch heute haben wir zum Glück einen viel humaneren Staat. Er ist eigentlich das genaue Gegenteil von dem furchtbaren Staat früherer Zeiten. Unserem Staat ist unser Wohlergehen nicht egal. Ganz im Gegenteil: Er kümmert sich um unsere Gesundheit. Bisher geschah das vor allem durch ein Sozialsystem. Das ist halt im Moment im Abbau begriffen, wegen der Krise. Aber der Wille zählt! Und obwohl für den Sozialstaat kein Geld mehr da ist (der einzelne Mensch ist halt nicht so systemrelevant, wie eine große Bank), lässt uns unser Staat nicht hängen. Er verändert einfach seine Strategie. Indem uns vorgeschrieben wird, was wir zu tun und zu lassen haben, sollen wir erst gar nicht krank werden! Ein doppelter Gewinn: Der Staat spart das Geld (das brauchen andere dringender), und uns selbst bringt es (angeblich) Gesundheit – auch wenn es bis heute äußerst unklar ist, was und wie viel wovon eigentlich wirklich gesund ist. Egal, der gute Wille zählt!
Unser Staat ist sogar so human und fortschrittlich, dass er mit der Regulierung des Rauchens nicht mal nur die Nichtraucher schützen will. Sogar die Raucher selbst will er schützen! Wenn das nicht fürsorglich ist! Mittlerweile gibt sogar der eine oder andere Raucher zu, dass er sich über die Rauchverbote freut.
Dennoch. Viele Leute werden das Gefühl nicht los, dass es bei den Rauchverboten um mehr geht, als ums Rauchen. Doch was ist dieses „mehr“? - Dessen Analyse konsequent nicht stattfindet. Warum beschränkt sich die öffentliche Diskussion nur auf das unmittelbare Für und Wider? Ich habe versucht, dieses „mehr“ philosophisch zu analysieren. Dabei habe ich drei Punkte gefunden, die auf eines hindeuten: Die Entsolidarisierung.

Hilfreich für diese Analyse war das Denken von Robert Pfaller (der in den letzten Jahren einige äußerst lesenswerte Bücher geschrieben hat, z.B. „Wofür es sich zu leben lohnt“), Michel Foucault und Immanuel Kant. Anstatt diesen Text mit Quellenangaben zu strapazieren, sei an dieser Stelle einfach auf diese Philosophen verwiesen.


1) Neutralisierung der Öffentlichkeit (Robert Pfaller)

Ist es angemessen, in einer öffentlichen Diskussion hauptsächlich darüber zu sprechen, wer und wie viele sich „belästigt“ fühlen? Ist das Kriterium des „sich belästigt fühlen“ eigentlich angemessen, wenn es Ge- und Verbote im öffentlichen Raum geht? Fordert dieses Kriterium nicht geradezu dazu auf, dass jeder den öffentlichen Raum als erweitertes Wohnzimmer versteht?
Moment, die Öffentlichkeit als Wohnzimmer? Das klingt ja gar nicht so schlecht, oder?
Doch. Weil mangels praktikablen Kompromisses überhaupt nichts mehr erlaubt wäre. Essen, Rauchen, spielende Kinder, Erholung, Klassik oder Techno…  Jeder Mensch hat verschiedene Vorstellungen davon, was in ein gemütliches Wohnzimmer gehört. Und wenn niemand sich belästigt fühlen soll… Richtig, dann kann am Ende überhaupt nichts mehr erlaubt sein. Das Wohnzimmer wird zum Klassenzimmer. Und in dem sitzt nicht eine Petze, sondern nur noch Petzen.

Dabei sollte Öffentlichkeit eigentlich mehr sein, als ein Wohnzimmer, denn dann könnte man ja gleich zu Hause bleiben. Öffentlichkeit sollte ein Ort der Begegnungen und Möglichkeiten sein. Dabei muss nicht alles, allen gefallen. Eine Öffentlichkeit, die nur noch das bietet, was allen gefällt (der minimalst denkbare Kompromiss), ist eben keine Öffentlichkeit mehr. Eine solche „Öffentlichkeit“ hat keine Potentiale und ihre Bürger bringen politisch nichts mehr zustande.
Die Funktion der Öffentlichkeit ist nämlich auch eine politische. Denn sie ist das Forum der Bürger. Erst hier werden viele Einzelne zur „Gesellschaft“ zusammengefasst. Diese wiederum ist das Instrument, das den Staat lenkt.  

Wenn es keine Gesellschaft gibt (aus der sich z.B. auch die „Zivilgesellschaft“ als Träger der Moral bildet), steht der Einzelne dem Staat völlig ausgeliefert gegenüber, der stattdessen von irgendwem anderen (Technokraten, Lobbys, etc.) gelenkt wird.
Man könnte auch sagen: Das öffentliche ist politisch. Es ist zwangsläufig politisch. Es gibt keine Diskussion über Ge- und Verbote in der Öffentlichkeit, die nicht fundamental relevant ist. Die Art und Weise, wie Öffentlichkeit gestaltet wird, weist direkt auf den Zustand der Demokratie hin. Selbst, wenn es angeblich „nur“ ums Rauchen geht.

Das Angebot einer Politik, die sich human gibt, und für jeden, der sich belästigt fühlt, ein Verbot erlässt, könnte ein geschickter Raubzug sein, der es auf die mächtigste Waffe der Bürger abgesehen hat: Eine dynamische Öffentlichkeit, die zwar nicht frei von unterschiedlichen Ansichten ist, aber in der die Bürger Würde empfinden können – weil man von ihnen verlangt, sich als Erwachsene zu benehmen. Eine Politik, die Bürger ermutigt, sich empfindlich wie Kinder zu verhalten, sollte hinterfragt werden – egal worum es geht.


2) Nicht Fürsorge, sondern „Biomacht“ (Michel Foucault)

Einen anderen Anhaltspunkt habe ich in Michel Foucaults (1926-1984) Konzept der Biomacht gefunden. Die „traditionelle“ Macht, war eine Macht über Leben und Tod. Der Lehnsherr hatte (theoretisch) jederzeit die Möglichkeit, das Leben seiner Untertanen zu beenden, man denke an die eigentumsgleiche Stellung der Leibeigenen.

Doch mit der Moderne muss man ein neues Konzept der Macht entwickeln. Denn die traditionelle Macht, die sich einfach darin erschöpft über Leben und Tod zu gebieten, passt nicht mehr. Die ökonomischen Veränderungen (Industrialisierung, Aufkommen des Kapitalismus) erfordern ein neues Konzept. Jetzt kommt es darauf an, das Leben der Untertanen zu fördern, zu optimieren und zu regulieren(!), damit sich diese in die Produktionsprozesse optimal einpassen.

Erst jetzt werden Angelegenheiten wie Gesundheit, Geburtenrate, Sexualität und Lebensgewohnheiten ein Thema für die Politik. Vorher waren diese Dinge relativ uninteressant. Ab nun behandelt die Politik fast nur noch diese Fragen. Politik wird fast ausschließlich Biopolitik.

Das „freie“ Subjekt

Diese neue Art der Machtausübung wird nicht mehr „von oben herab“ ausgeübt, wie das früher der Fall war. Stattdessen entwickelt sich ein dichtes Netz von Diskursen, das die gesamte Gesellschaft durchzieht.
Diese Diskurse bestimmen, grob gesagt, welche Aussagen getroffen werden können, welche Schlussfolgerungen gezogen werden können, was als wahr oder falsch gelten kann. Diskurse bestimmen, was als „Wissen“ gelten kann. Das heißt auch, dass Macht nicht mehr lokalisiert werden kann. Nicht „die Regierung“ allein übt die Macht aus. Macht, als Diskurs, durchzieht als Netz die gesamte Gesellschaft, jeder kann hier Macht ausüben, solange er dabei den vorgegebenen Regeln des Diskurses folgt.

Ist nicht der Hass, der den Rauchern teilweise entgegenschlägt, bemerkenswert? Es könnte einem ja egal sein, ob jemand raucht oder nicht. Warum aber dieser Fanatismus, warum diese Lust an harten Worten? Weil die harten Worte mit einem Diskurs korrelieren. Und der Diskurs ist Machtausübung. Die Lust an den harten Worten ist eine Lust an der Machtausübung, nicht bloß die Lust am „pöbeln“.

Doch der Diskurs ist perfider, als dass er bloß den radikalen Nichtrauchern die Möglichkeit gibt, Macht auszuüben. Kennt nicht jeder einen Exraucher, der sagt, er fühle sich erst wirklich frei, seit er mit dem Rauchen aufgehört hat? Übersetzt in Foucaults Denken heißt das: Vorher durfte er sich nicht frei fühlen, weil ihm das der Diskurs eingebläut hat: „Wer raucht, ist nicht frei!“ – Was auch immer „frei“ bedeuten soll, dieser Begriff spielt in Wahrheit keine Rolle. Er klingt nur gut.

Nicht nur dem radikalen Nichtraucher, auch dem Raucher macht der Diskurs das verlockende Angebot, an der Macht teilzuhaben. Aber nur, wenn er mit dem Rauchen aufhört. Solange er raucht, ist er machtlos, ein Sklave seiner Sucht.

An dieser Stelle muss man sich überlegen, ob es angemessen ist, für uns, die wir uns gerne als die „moderne Welt“ bezeichnen, solche manipulativen Methoden zuzulassen.


3) Relativierung der Würde (Immanuel Kant)

Bleiben wir bei den harten Worten: Warum war es den Machern des Antiraucherdiskurses so wichtig, die Raucher explizit in die Nähe der Unfreiheit zu stellen? Warum hat man sich nicht damit begnügt, das Rauchen einfach als „schlechte Angewohnheit“ zu disqualifizieren, wie es schon früher gemacht wurde?
Das hat „gute“ Gründe, die beweisen, wie intelligent das ganze geplant ist. Denn die Besonderheit des Menschen liegt darin, ein Freiheits- und Vernunftwesen zu sein. Das ist eine zentrale Errungenschaft des christlich-abendländischen Denkens der letzten 2500 Jahre. Das erst unterscheidet den Menschen vom Tier. Es ist die Fähigkeit über sich selbst zu reflektieren und sich autonom Ziele zu setzen. Nichts anderes besagt der kategorische Imperativ:

Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde.“

Element der Freiheit: Der kategorische Imperativ gibt keine inhaltliche Regel vor, wie etwa „du sollst nicht töten“ oder „du sollst nicht rauchen“. Im Gegenteil: Das Individuum selbst ist berufen, eine konkrete Regel zu formulieren (=Element der Autonomie = Selbstgesetzgebung).
Das wunderbare ist, dass im kategorischen Imperativ bereits der Gedanke der Toleranz mitschwingt (obwohl das nichtmal sein Hauptanliegen ist).

Doch wer nicht frei ist, der ist auch nicht zur Autonomie fähig. Doch die Freiheit bildet das Zentrum der Menschenwürde.  Menschenwürde besagt nichts anderes, als den Menschen allein schon deshalb zu achten, weil er ein Mensch ist. Die Würde des Menschen ergibt sich letzten Endes aus seiner Fähigkeit zur Autonomie. Und genau diese will man den Rauchern absprechen. Wenn es heißt, Raucher sind nicht frei, heißt es implizit: Sie haben keine Würde und sind eigentlich keine echten Menschen.

Menschenwürde ernstnehmen

Natürlich könnte man meinen, es sei übertrieben im Zusammenhang mit den Rauchverboten, von tiefgründigen Begriffen, wie der Menschenwürde,  zu sprechen.
Aber bei einer philosophischen Analyse des Themas drängt sich dieser Begriff zwangsläufig auf. Wenn dem Raucher die Freiheit abgesprochen wird, wird  auch automatisch seine Würde in Frage gestellt. Denn diese definiert sich nun mal (u.a.) über die Freiheit. 


Fazit: Drei „mehrs“

1) Der Begriff der Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit wird zunehmend in einen sterilen Raum verwandelt, in dem niemand mehr mit Dingen konfrontiert wird, die ihn stören könnten. Doch diese Art von Öffentlichkeit hat uns nichts mehr zu bieten. Sie ist tot. Das hat bedenkliche, politische Konsequenzen.

2) Biomacht. Der moderne Staat will nicht „unser Bestes“, er ist nicht „besorgt“ um uns. In erster Linie geht es ihm um Effizienz. Gesundheit an sich soll der höchste Wert sein, denn das bringt die größte Effizienz. Fragen nach einem (individuellen) Sinn des Lebens sind dagegen ökonomisch irrelevant.

3) Beim Antiraucherdiskurs handelt es sich nicht einfach nur um die Unterdrückung und Diskriminierung der Raucher. Im Gegenteil: Dieser Diskurs bietet Macht an. In erster Linie bietet er den Nichtrauchern Möglichkeiten zur Machtausübung an. Doch auf perfide Weise erfasst er auch den Raucher: Seine Freiheit wird eine Frage von Rauchen oder Nichtrauchen (So absurd das auch klingen mag – es funktioniert). Wie plausibel das ist, das wird aus gutem Grund ausgespart.


Entsolidarisierung

Der Einzelne soll für alles verantwortlich gemacht werden, was ihm widerfährt. Denn der Sozialstaat wird angeblich zunehmend zu teuer. Das Rauchen bietet einen guten Einstiegspunkt, die Solidarität aufzuheben (Robert Pfaller):

Was, du hast Lungenkrebs? Das kann nur daran liegen, dass du geraucht hast, oder dich in der Nähe von Rauchern aufgehalten hast, oder sonst irgendwie „ungesund“ gelebt hast. Denn wir haben das Rauchen ja überall verboten und dir gesagt, was alles „ungesund“ ist. Das war deine Verantwortlichkeit, also zahl auch für deine Behandlung selber, oder stirb“.

Foucault: „Das alte Recht sterben zu machen, oder Leben zu lassen, wurde abgelöst von einer Macht […] in den Tod zu stoßen.“

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